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Über die Sinnhaftigkeit von Haushaltsreden

Seit Jahrzehnten ist es Brauch, dass die Sprecherinnen und Sprecher der Ratsfraktionen vor der Verabschiedung des Haushalts an das Rednerpult treten und dort ihre Statements zum Haushalt abgeben.

Nicht selten in der Vergangenheit wurden diese Reden dazu genutzt, mit dem politischen Handeln der Ratsmehrheiten „abzurechnen“ oder umgekehrt, sich wegen dieses Handelns selbst auf die Schulter zu klopfen.

Welchen Nutzen solche „Schaufensterreden“ für wen hatten, wurde von Haushalt zu Haushalt unklarer, zumal diese Reden selten die Bürger wirklich erreichten und zu langen Ratssitzungen führten.

Genau Letzteres hatte Oberbürgermeister Felix Heinrichs veranlasst, den Fraktionen zu empfehlen, diesmal auf den Vortrag der Statements zu verzichten und diese lediglich dem Protokoll der Sitzung beizufügen.

Diesem Vorschlag folgten alle Fraktionen, so dass die als Ersatz für eine Ratssitzung mit Verabschiedung des Doppelhaushaltes 2021/2022 am 09.02.2021 durchgeführte öffentliche Sitzung des Hauptausschusse schon nach ca. 90 Minuten beendet war.

Grund hierfür war die Corona-Krise und das damit verbundene Bestreben sich mit möglichst wenigen Personen nur solange zu treffen, wie es unbedingt erforderlich ist.

Das erste und bislang auch letzte Mal, dass mitteilungsbedürftige Fraktionssprecher keine „Haushaltsreden“ gehalten haben, war am 17.12.2008, als sich der damalige OB Bude (SPD) mit den Fraktionsspitzen darauf verständigte, keine Reden zum Haushalt 2009 zu halten.

Grund war damals eine Tagesordnung mit annähernd 40 Tagesordnungspunkten.

Etwa ein Jahr später, im September 2010 folgte dann ein „Haushaltsreden-Marathon“ von zweieinhalb Stunden zum Doppelhaushalt 2010/2011, bei dem Dr. Hans Peter Schlegelmilch (CDU) mit seiner mehr als 30-minütigen Rede „vorlegte“, worauf der damalige dem SPD-Fraktionsvorsitzende Lothar Beine – offensichtlich genussvoll – reagieren konnte, bevor er mit seinem eigentlichen Statement begann.

Solche Situationen wird es in Zukunft kaum noch geben, weil rhetorisch starke „Typen“ wie Lothar Beine, Erich Oberem und Karl Sasserath nicht in Sicht sind.

Selbst wenn es solche geben wird, wird sich die Frage danach stellen, ob Haushaltsreden in den Zeiten der schnellen Kommunikation über die unterschiedlichsten Medienformate noch „sinnvoller Zeitvertreib“ sind oder doch nur Rituale, die nicht einmal als eigene Punkte auf Tagesordnungen der Ratssitzungen erscheinen.

So liest (und hört) man in den in diesem Jahr zu Protokoll gegebenen Statements vielfach altbekannte Redewendungen, Floskeln und vermeintlich wichtige Aussagen, die schon aus vorangegangenen Verlautbarungen der jeweiligen „Farben“ bekannt sind.

Die Handvoll anwesende Besucher im Kaisersaal von Haus Erholung hätten sich sicherlich gelangweilt, wenn ihnen diese auch noch vorgetragen worden wären.

Nun haben die Fraktionen und der OB bis zum Herbst 2022 Zeit sich zu verständigen, dauerhaft vollständig auf „Haushaltsreden“ zu verzichten.

Möglicherweise kommen interessierte Leserinnen und Leser nach der Lektüre der nachfolgend angebotenen Statements und/oder des Anhörens der nachgesprochen Texte zu einem ähnlichen Einschätzung.

Die Statements der Fraktionen:

Mindestens 9 Minuten hätte es gedauert, wenn der finanzpolitische Sprecher Holger Hexgen der Mönchengladbacher AfD sein Statement vorgetragen hätte.

Inhaltlich legt das Statement den Schwerpunkt auf die europäische Finanzpolitik und auf die Auswirkungen der Corona-Krise auf den städtischen Haushalt.

Während die AfD zum Doppelhaushalt 2021/2022 keine konkreten Anträge gestellt hatte, kündigt sie Anträge und Anfragen an, die den Fokus auf den „Baustein Wirtschaft“ richten würden.

Wesentlich kürzer (ca. 5 Minuten) fassten sich die Grünen bei ihrem Statement.

Der finanzielle Rahmen des Doppelhaushaltes 2021/2022 sei bekanntermaßen eng und die corona-bedingten Belastungen würden nur durch langfristig wirkende Maßnahmen beherrschbar sein.

Begleitend und ergänzend zur Bekämpfung der Folgen des Klimawandels durch mehr Bäume, Sträucher und Straßenbegleitgrün wolle man damit beginnen, den städtischen Gesamtverkehr „zu beruhigen“ und den Radverkehr dadurch stärken, dass man das Radwegenetz „weiter ausbaut“.

Auch wurden die Schaffung eines Seniorenrates und die Planung zur barrierefreien Ertüchtigung von städtischen Gebäuden hervorgehoben.

Über 400.000 EURO sollen für die Barrierefrei-Planungen“ zur Verfügung stehen.

Ob damit auch nur eine Maßnahme baulich umgesetzt wird, konnte dem Statement  berücksichtigt werden.

Auch nicht, ob die in den (abgelehnten) Bürgereinwendungen konkret vorgeschlagenen Maßnahmen enthalten sind.

Mit über 20 Minuten traditionell lang(atmig) wäre das Verlesen des Statements des CDU-Fraktionsvorsitzenden Dr. Hans Peter Schlegelmilch ausgefallen, wäre es zu einem Vortrag gekommen.

Ebenso „traditionell“ lobt er die Leistung der CDU, die (gemeinsam mit der SPD) eine „erfreuliche Hauhaltskonsolidierung“ auf den Weg gebracht habe.

Das verband er mit der Feststellung, dass dies wohl der letzte Haushalt sei, der deutlich die Handschrift der CDU zeige.

Dass so etwas nur durch das weitblickende Engagement des SPD-Fraktionsvorsitzenden Lothar Beine und seiner Mitstreiter in der „1. Ampel-Kooperation“ (vor 2014) möglich war, als diese gegen den teilweise massiven Widerstand der CDU-Fraktion den Beitritt zum „Stärkungspakt Stadtfinanzen“ beschloss, lässt Schlegelmilch unerwähnt.

Stattdessen bezeichnet er den Beitritt als „Flucht“ der 1. Ampel in den Stärkungspakt.

Ebenso ohne Erwähnung bleibt, dass das von Schlegelmilch gefühlt ca. 20 Mal erwähnte „mg+“ und die unter diesem Label angepriesene Stadtentwicklungsstrategie erst durch den Beitritt zum Stärkungspakt möglich war.

Ähnlich inflationär wie das Label „mg+“ kommt auch das Wort „Strategie“ (und Abwandlungen davon) in Schlegelmilchs Statement vor und taucht bei vielen Haushaltsaspekten auf, die eher taktisch / pragmatisch auszurichten sind und dieser „Überhöhung“ nicht bedurft hätte.

Wenn man das CDU-Statement zum Haushalt 2021/2022 (mehrfach) liest oder sich vorlesen lässt, verfestigt sich der Eindruck, dass die CDU viele ihrer Ankündigungen und Forderungen in den letzten 6 GroKo-Jahren (gemeinsam mit der SPD) hätte umsetzen können.

Darauf, dass ihr „von heut‘ auf morgen“ ihr GroKo-Partner abhanden gekommen ist, reagiert sie mit Aktionismus, wie beispielsweise

  • bei der Digitalisierung in Schulen und der dortigen digitalen Infrastruktur
  • mit der Forderung nach der Einrichtung einer „Bürgerstiftung Bildung“
  • beim Thema Leerstände in den Innenstädten von Rheydt und Mönchengladbach
  • bei den städtischen Gesellschaften EWMG, WFMG und MGMG

Dass schlussendlich das Thema „Neues Rathaus“ in Rheydt nicht fehlen durfte, war zu erwarten.

Dass sie (die CDU) dazu gebraucht wird – wie Schlegelmilch meint – wird sich spätestens dann zeigen, wenn die tatsächliche Wirtschaftlichkeit nachgewiesen ist … und es nicht zu Berechnungen kommt, die nach dem Motto „Ich wünsche eine Untersuchung mit folgendem Ergebnis“ erstellt sind.

Der Fraktionssprecher von DIE LINKE, Torben Schultz, hätte für sein Statement etwa 11 Minuten gebraucht.

Schultz bezeichnete die Änderungen der Ampel-Kooperation an der Vorlage des Kämmerers als “Trostpflaster“ und zeigte Punkte auf, bei denen glaubte, Defizite zwischen den Ankündigungen der Ampelpartner und den beantragten Mitteln festgestellt zu haben.

Dazu seien  Themen zu zählen, wie

  • „Sichere Häfen“ für Geflüchtete
  • Kinderbetreuung bei Sprachkursen
  • Radwege
  • Gesamtschule

Wie nicht selten bei seinen Äußerungen schlug Schultz auch diesmal den „politischen“ Bogen zur Bundes-und zur Landespolitik und hier schwerpunktmäßig zum Thema Corona-Pandemie.

Angerissen wurden außerdem „öffentliche Toiletten“, Barrierefreiheit, Ausstattung der Schulen, Klimaschutz, Radverkehr und der kommunale Ordnungsdienst.

Das von Schultz als auflockernden „Gag“ gedachte Verteilen von „Trostpflastern“ kam nicht bei allen Mitgliedern des Hauptausschusses gut an und wurde von Nicole Finger (FDP) angesichts der Situation als unangemessen eingestuft.

Ein ähnliches „Verteilen“ (wenn auch in einer anderen Situation) hatte Reiner Gutowski (heute: FDP) anlässlich seiner „Jungfrauenrede“ zum Haushalt 2016 im Rat vorgenommen, als er als Sprecher der PiPA-Gruppe die Ratsmitglieder mit Popcorn-Tüten überraschte.

Auf etwa 10 Minuten Redezeit angelegt war das Statement der FDP-Fraktionsvorsitzenden Nicole Finger.

Zu Beginn stellte sie fest, dass es die Ampel-Mehrheit gewesen sein, die die Stadt Mönchengladbach durch den Beitritt zum Stärkungspakt Stadtfinanzen aus der „Vergeblichkeitsfalle“ herausgeführt habe.

Steuererhöhungen seien in der aktuellen Situation kontraproduktiv und daher bei den Beratungen zum Doppelhaushalt 2021/2022 auch kein Thema gewesen.

Sie forderte Bund und Land auf, für die Kommunen eine zusätzliche Finanzausstattung zu schaffen, um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise abzufedern.

Die wenigen Haushaltsänderungen der Ampel hätten den engen Spielraum berücksichtigt.

Demgegenüber hätte die CDU neue Ansätze in Höhe von einer Million gefordert, die aus NEW-Mitteln kommen sollten.

Diesbezügliches „Insider-Wissen“ aus NEW-Aufsichtsgremien in einer „eilig ausgelegten Tischvorlage“ als Haushaltsdeckung zu präsentieren sei unseriös und politisiere die NEW in unzulässiger Weise.

Mit Bezug zum Neubau eines Rathauses prognostizierte Finger für 2022 einen Nachtragshaushalt.

Aus den Haushaltsänderungen der Ampel hob Nicole Finger drei Maßnahmen hervor, die schon im Kommunalwahlkampf auf der FDP-Agenda standen:

  • Spielplätze in Mönchengladbach verbessern
  • Ausbau der „offenen Ganztagsschule“ beschleunigen
  • Stationären Einzelhandel und Gastronomie durch City-Marketing stützen

Anders als CDU und Teile der Verwaltung, die unter dem Label-Zusatz „wachsende Stadt“ Zuzug von Besserverdienden zum Ziel haben, scheint die FDP auf die Entwicklung der schon in Mönchengladbach lebenden Menschen zu setzen und will dazu die „weichen“ Standortfaktoren erkennen und ordnet Bildung als „harten“ Standortfaktor ein.

Für den 23-jährigen Jura-Studenten Jannan Safi wäre es die erste größere Rede als SPD-Fraktionsvorsitzender im Mönchengladbacher Stadtrat gewesen, wenn sie denn hätte stattfinden können; sie hätte geschätzt ca. 15 Minuten gedauert.

Wie viele seiner Vorgänger und Vorredner fraktionsübergreifend in den vergangenen Jahrzehnten forderte auch Safi die Einrichtung eines „Altschuldenfonds“ auf Bundes-oder Landesebene bemängelte dass nach „großen Ankündigungen“ im Düsseldorfer Landtag nicht geschehen sei.

Trotz der corona-bedingten Mindereinnahmen und Aufwendungen in Höhe von knapp 4242 Mio. EURO wolle die Ampel dem Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger „mit Augenmaß, Verantwortungsbewusstsein und einer Orientierung an den realen Bedürfnisse“ (Zitat) gerecht werden.

Dazu nannte Safi diese Stichworte, die auch in den „Haushaltsreden“ der beiden anderen Ampel-Partnern vorgekommen wären:

  • „substantielle Stellen“ für den Kommunalen Ordnungsdienst (KOS)
  • ein eigenes „Baumpflanzungsprogramm“
  • die Barrierefreiheit (in öffentlichen Gebäuden)
  • „Kümmerer“ für eine greifbare Perspektive für den Einzelhandel vor Ort
  • OGATA-Plätze und Kita-Plätze
  • Spielplätze
  • „freie“ Kulturszene

Als ausgesprochen „mutig“ (nicht unbedingt im positiven Sinne zu sehen) ist eine Passage seines Statements einzustufen.

Jannan Safi erklärt nämlich (Zitat): „Er (Anm.: der Haushalt) trägt die Handschrift der Bedürfnisse der Bedürfnisse der Bürger:innen Mönchengladbachs. Der Familien, der Kinder, der Jugendlichen, der Engagierten und der Gestaltenden“ (Zitat Ende)

Wenn dem so wäre, hätten zumindest die Vertreter der Ampel in der Hauptausschusssitzung am 09.02.2021 den Einwendungen der „Engagierten“ eine größere Bedeutung beigemessen, statt dadurch, dass die überwiegende Zahl der “Ampel-Vertreter“ diese – der Verwaltungsempfehlungen folgend – faktisch undifferenziert abzulehnen.

Sollte es nicht nur eine wohlfeile Floskel sein, muss sich Jannan Safi an seiner bevorstehenden Karriere in der Mönchengladbacher Kommunalpolitik daran messen lassen, als er feststellt „Die Stadt gehört niemanden. Keiner Fraktion, keiner Partei, keiner Verwaltung.“ (Zitat Ende)

Konsequent und der Realität entsprechender wäre es gewesen, wenn er die Aufzählung vervollständigt hätte, beispielsweise mit „keinem Oberbürgermeister, keinem Dezernenten, keinen Investoren, keinen/keinem …“

Lässt man die Ankündigungen aller Ampel-Partner Revue passieren, bestätigen sich die Einschätzungen, dass jeder für sich und teilweise gesamtheitlich die Vorstellungen aus dem Kooperationsvertrag wiederholen.

An welchen Stellen im Haushalt die Finanzierungen dieser Vorstellungen konkret zu verorten sind, ergibt sich aus dem gemeinsam und mehrheitlich beschlossenen Änderungsantrag der Ampel.

Zusammenfassend haben die „verhinderten“ Redner den Nachweis erbracht, dass Haushaltsreden vom Prinzip her nichts anderes sind, als vermeidbare Zeitfresser, die einzig dem Zweck dienen, Rednern mit egozentrischen Ambitionen für effektheischerische Reden eine Bühne zu bieten und ihren „Anhängern“ die Möglichkeit für opportunistischen Applaus zu geben.