Es scheint das Privileg eines neuen Oberbürgermeisters zu sein, zu Beginn oder im Verlauf einer Amtszeit seine „Handschrift“ für Verwaltungshandeln in einem „Leitbild“ zu postulieren.
Dieses Privileg hat OB Felix Heinrichs (SPD) auch für sich in Anspruch genommen und am 01.07.2021 „Eine Strategie für die Gesamtstadt“ mit dem Titel „Eine Stadt. Gemeinsam Mönchengladbach“ im Rahmen einer Pressekonferenz präsentiert.
Schon vor 17 Jahren – also im Jahr 2004 – hatte der damalige Hauptverwaltungsbeamte Norbert Bude (SPD) den Versuch unternommen, eine „Strategie“ für Mönchengladbach zu entwickeln und stellte 2008 in einer Aktualisierung mit der Bezeichnung „Mönchengladbach 2030 – plus“ Leitbilder vor, die als Selbstverpflichtung zu verstehen waren.
Budes Nachfolger Hans Wilhelm Reiners (CDU) sah keine Veranlassung, sich ernsthaft mit einem „Leitbild“ zu befassen.
Ihm reichte offensichtlich die Existenz eines baulichen Masterplans des Vereins MG3.0, der zunächst als „informelles“ Instrument beschlossen wurde.
Nicht unerwartet wurde dieser Masterplan -auch dank des Vorstandsmitgliedes des Vereins und Baudezernenten Dr. Gregor Bonin (CDU) – jedoch zur maßgeblichen Richtschnur der Stadtentwicklung in Mönchengladbach und in der Folge in weiten Teilen zum Bestandteil des Slogans „MG plus – Wachsende Stadt“, ohne dass daraus ein „Leitbild“ abzuleiten wäre.
Damit überließ Reiners seinem langjährigen Freund die „Richtlinienkompetenz“ in Sachen Fortentwicklung der Stadt Mönchengladbach und wurde mehr und mehr zum Beobachter statt zum aktiven Gestalter.
Vergleicht man das Leitbild Budes aus dem Jahr 2008 mit dem „Selbstbild“ von Felix Heinrichs, als neuem Hauptverwaltungsbeamten, sind substantielle Unterschiede kaum festzustellen.
Das ist nicht weiter verwunderlich, weil sich – trotz „Masterplan“ und „mg + – …“ die Gesamtsituation für die Mönchengladbacher Bürger (in ihrer Gesamtheit und individuell) so gut wie nicht verändert oder gar verbessert hat.
Dass in den vergangenen 17 Jahren neue Herausforderungen entstanden sind, ändert an der Grundproblematik für die breite Bevölkerung in Mönchengladbach kaum etwas, wie dieser Vergleich zeigt.
Leitbild 2008 vs. "Selbstbild" 2021 - Kurzform
Leitbild MG 2030 (Bude 2008) | „Selbstbild“ (Heinrichs 2021 – Kurzform) | |
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Selbst wenn man die Unterpunkte aus dem „Selbstbild 2021“ mit dem Leitbild aus dem Jahr 2008 vergleicht, sind nur marginale Unterschiede feststellbar.
Leitbild 2008 vs. "Selbstbild" 2021 - detailliert
Leitbild MG 2030 (Bude 2008) | „Selbstbild“ (Heinrichs 2021 – detailliert) | |
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Insgesamt darf man gespannt sei, wie die Unterpunkte des Selbstbildes 2021 angegangen und mit welchem personellen und materiellen/finanziellen Aufwand umgesetzt werden sollen.
Norbert Bude hatte 2004/2008 seine „Strategie“ erkennbar für die gesamte Kommune im Sinne der rechtlich korrekten Gemeinsamkeit als „Kommunale Selbstverwaltung (= Verwaltung & Politik) und damit als Bestandteil der „Exikutiven“ betrachtet und das Leitbild dementsprechend formuliert.
Felix Heinrichs begrenzt „sein“ Leitbild – bewusst oder unbewusst – nur auf die Verwaltungsspitze und damit nur auf einen Teil der Exikutiven.
Auch wenn die aktuelle Verwaltungsspitze durch das Hochalten von Schildern die Unterstützung des Leitbildes demonstriert, wird für einige von Ihnen in absehbarer Zeit die Amtszeit enden, was wiederum den Wert solcher Unterstützungen infrage stellt.
Das Manifestieren von Leitbildern birgt nicht zu unterschätzende Tücken:
- Die Selbstverpflichtung als TOP-Down-Prozess, der beim Hauptverwaltungsbeamten und den Dezernenten beginnt und erst bei jedem einzelnen Mitarbeiter endet.
- Die Verwaltungsspitze setzt sich aus Personen zusammen, die auf Zeit gewählt werden (Hauptverwaltungsbeamte = 5 Jahre, Dezernenten = 8 Jahre).
- Wechsel in der Verwaltungsspitze führen zur „Neuverpflichtung“ auf das bestehende Leitbild.
- Hauptverwaltungsbeamte werden unter parteipolitischen Gesichtspunkten von Parteien nominiert und von Bürgern gewählt, ohne dass die Kandidaten eine besondere Qualifizierung nachzuweisen haben.
- Wenn Leitbilder vom Stadtrat politisch nicht mitgetragen werden, laufen sie auch dann ins Leere, wenn die Verwaltungsspitze sie „nur“ für sich/die Verwaltung beschließt.
Die größte Tücke liegt im „Top-Down-Prozess“ und nicht selten bei oberen Führungseben, den Dezernenten.
Manche dieser Protagonisten dominieren ihre Dezernate bis hin in gestalterische und politische Details gemäß der Definition ihres Zuständigkeitsgebietes „decernere = entscheiden und bestimmen“.
Mit der Folge, dass kompetente, engagierte nachgeordnete Führungskräfte sich beruflich anderweitig orientieren oder sich in die so genannte „innere Kündigung“ begeben.
Aus andern öffentlichen Unternehmen ist bekannt, dass die obersten Führungs- und Leitungsspitzen Unternehmens- und Führungsleitbilder zwar entwickeln lassen, sobald sie jedoch realisieren, dass auch sie selbst verpflichtet werden, den Top-Down-Prozess „zu leben“, die Einführung solcher „Leitbilder“ verhindern oder sich selbst ausdrücklich ausschließen.
Vor dem Hintergrund des engen Zusammenwirkens der Ampel-Kooperation mit dem OB Heinrichs, liegt die Frage nahe, ob die Ampelpartner vorab informiert bzw. in die Strategie-Entwicklung involiert waren.
Hier die Antworten der Fraktionsvorsitzenden/Fraktionssprecher dazu:
Ampelpartner in der Strategie-Entwicklung nicht involviert
„Als Fraktion waren wir weder an der Erstellung noch der Vorstellung beteiligt. Wir haben es so verstanden, dass die Verwaltung nun unter dem OB die strategische Ausrichtung der Stadt in den letzten Monaten erarbeitet hat und dieses Ergebnis nun vorgestellt wurde. Auf dieser Grundlage beginnt nun die politische Beratung mit den Fraktionen und in den Gremien.“ |
„Wir begrüßen den Vorstoß von OB Heinrichs die Strategie mg+ zu überarbeiten. Die neue Strategie hat die Möglichkeit nun konkret zu werden und genaue Ziele zu formulieren. Wir werden diesen Prozess eng begleiten und sowohl als Grüne Fraktion mit dem OB ins Gespräch gehen als auch innerhalb der Ampel für uns wichtige Dinge werben. Dass der Klima- und Umweltschutz für uns eine hohe Priorität hat und die Stadt hier handeln muss ist kein Geheimnis.“ |
„Involviert waren die FDP oder ich persönlich nicht, der OB hat dem Fraktionsvorstand aber die Strategie persönlich vorgestellt und die Schwerpunkte decken sich auch mit denen aus dem Koalitionsvertrag der Ampel. Weitergehende Position dazu kann man wohl erst beziehen, wenn die Verwaltung aus diesen Schwerpunktfeldern konkrete Maßnahmen erarbeitet hat.“ |
Vor dem Hintergrund des relativ kurzen Zeitzeitraumes zwischen dem Amtsantritt von Felix Heinrichs als Oberbürgermeister und der Vorstellung der „Neuen Strategie“ ergaben sich Fragen an den Hauptverwaltungsbeamten u.a. hinsichtlich der Entwicklung dieser Strategie, des materiellen und personellen Aufwandes, möglicher externen Unterstützung und der Zuständigkeit für eine Umsetzung und deren Dauer.
Heinrichs ließ über den städtischen Pressesprecher Wolfgang Speen so antworten:
„Der Verwaltungsvorstand befasst sich bereits seit Jahren mit der strategischen Ausrichtung der Stadt, die im städtebaulichen Masterplan MG3.0 ihren Ursprung hatte und in die Stadtentwicklungsstrategie mg+ Wachsende Stadt überführt wurde.
Oberbürgermeister Felix Heinrichs setzt nun gemeinsam mit dem Verwaltungsvorstand diese Strategie fort, die – basierend auf bestehenden Grundlagen, Systematiken und Instrumenten – durch die Definition von strategischen Handlungsfeldern stärker auf die zukünftigen lokalen Herausforderungen ausgerichtet werden soll.
Zu diesem Zweck hat der Oberbürgermeister in seinem Dezernat die Stabsstelle Strategische Entwicklung gebildet, welche die Gesamtstrategie federführend gemeinsam mit dem Verwaltungsvorstand und den Verwaltungseinheiten weiter entwickeln wird.
Dies erfolgt – wie bereits in der Erarbeitung des strategischen Ansatzes – im Rahmen der normalen Verwaltungsarbeit ohne externe Begleitung.
Ziel ist, dass die Gesamtstrategie, die in ihrer Prozesshaftigkeit auf einen längeren Zeitraum angelegt ist, durch eine interdisziplinäre bereichsübergreifende Zusammenarbeit auch mit den städtischen Beteiligungen sowie unter Beteiligung der Bürger*innen gemeinsam getragen und vorangebracht wird.“ (Zitat Ende)