Das Gedenken an die Verstorbenen und die Sorge um die Erkrankten verpflichtet zum Nachdenken, wie Epidemien und vergleichbare Katastrophen verhindert werden können.
Die Erinnerung an die Grippewellen vergangener Jahre, als ohne nennenswerte Reaktionen 25.000 Tote zu beklagen waren, befördert schnell Phantasien aus der Gerüchteküche, wonach das Corona-Virus in einem chinesischen Chemiewaffenlabor gezüchtet wurde, um Handelskriegen der östlichen Macht mit dem Rest der Welt zu dienen, während der befohlene Stillstand in den westlichen Industrienationen als Versuch, den letzten Einzelhandel abzuschaffen, gedeutet werden könnte.
Und in der Tat: Amazon verdient prächtig.
Journalismus und Geschichtsschreibung werden nach der Überwindung der Corona-Krise den Wahrheitsgehalt solcher Vermutungen untersuchen.
Frau Merkels Versuch einer historischen Einordnung, die Corona-Krise als größte Herausforderung nach dem Zweiten Weltkrieg zu interpretieren, ist in Erinnerung an fast sechzig Millionen Menschen, die während der dreißiger und vierziger Jahre des letzten Jahrhunderts eines gewaltsamen Todes starben und in Anbetracht der Bedrohungen durch Naturzerstörung und Klimawandel, eine nicht haltbare Übertreibung.
Der Vergleich eines Virus mit dem auf Erden stationierten Atomwaffenarsenal, den Bill Gates zu denken versucht, ist eine für die Wertschöpfer der digitalen Zwangstechnisierung nahezu typische Phantasmagorie.
Sie verwechseln die Wirklichkeit mit einem Computerspiel.
Weitaus tiefschichtiger erscheint der historische Abriss des Politologen Ekkehart Krippendorff.
Der Emeritus der Universität Berlin untersuchte den Kardinalfehler staatlichen Handelns, durch stets wachsende Rüstung den Frieden sichern zu wollen.
Krippendorff nennt dieses erschreckende Phänomen „die historische Logik politischer Unvernunft“.
Alle Rüstungsanstrengungen endeten, auch nach langen Friedenszeiten, in Krieg und Untergang.
Leider erschöpft sich diese Unvernunft nicht im Militärischen, sie findet im globalen Neoliberalismus ein vergleichbares Zerstörungspotential.
Der Neoliberalismus verdinglicht alle Lebewesen, den Menschen eingeschlossen, zu einem Wirtschaftsgut, zu einer Ressource, deren Zweck es ist, verbraucht zu werden.
Das Amoralische dieser Denk- und Handlungsweise trägt die Verantwortung für die ökologische wie ökonomische Krise unserer Gegenwart.
Zur politischen Unvernunft gesellt sich die wirtschaftliche Unvernunft in Form einer Umkehrung des Nachhaltigen.
Güter, die zur langfristigen Versorgung dienen sollten, werden ersatzlos verbraucht, und Ökosysteme, die die unabdingbare Voraussetzung aller Lebensformen sind, werden erbarmungslos vernichtet.
Permafrostböden tauen, der Meeresspiegel steigt, Wälder werden vernichtet.
Allein in Brasilien fielen siebenhunderttausend Quadratkilometer (das ist zweimal die Fläche der BRD) Wald der wirtschaftlichen Habgier zum Opfer, obwohl dieser Regenwald mit seiner Fähigkeit, 140 Milliarden Tonnen Kohlendioxyd zu speichern, für den Erhalt des Lebens auf dem Planeten Erde von unschätzbarem Wert ist.
Zahlen zeigen den anthropozentrischen Wert der Natur, werden aber dem holistischen Ansatz des Naturschutzes nicht gerecht.
Eine Million Tier- und Pflanzenarten sind vom Aussterben bedroht, sie werden wie Menschen in Kriegszeiten von Menschen ermordet, so wie der Völkermörder Bolsonaro, Handelspartner der EU und der USA, tatkräftig unterstützt von den Konsumenten billigen Grillgutes, die indigenen Völker Südamerikas vernichten will, und in der Gesellschaft anderer Psychopathen, die derzeit die Macht in ihren schmutzigen Händen halten, immer mehr zu einer Bedrohung des Friedens wird.
Mit vorsätzlicher Fahrlässigkeit, immer unter Berufung auf wirtschaftliche Zwänge, hat die Politik bislang einen global effektiven Natur-, Klima- und Menschenschutz verhindert, und zeigt nunmehr, wie schnell, wirksam und ohne ökonomische Rücksichtnahme staatliches Handeln in die Praxis umgesetzt werden kann.
Es drängt sich die Frage auf, warum die Wissenschaftlichkeit virologischer Erkenntnisse, bzw. deren gesellschaftspolitische Umsetzung, klimatologische und ökologische Forschungen zu verdrängen scheint, ergänzen und erhellen sich die drei Naturwissenschaften doch seit Jahrzehnten.
Virologen bestätigen, dass Viren durch die Zerstörung von Ökosystemen gefährlicher werden können und darüber hinaus eine schnellere Verbreitung finden.
Noch versteht die Bevölkerung eine Kontaktsperre wohlwollend als Therapie, wie aber gestaltet sich ein vergleichbarer Zustand, dauert die Isolation wegen anhaltender Hitze, wegen Überschwemmungen oder aufgrund eines Wassermangels, vielleicht in Kombination mit sehr aggressiven Viren, Monate oder Jahre?
Was kommt nach Corona?
Ein „Memento mori“ unter besonderer Berücksichtigung der Verletzbarkeit (und Tötbarkeit, würde Günther Anders sagen) allen Lebens, endlich die Durchsetzung eines globalen Schutzes aller Ökosysteme, Bescheidenheit und Maßhalten, eine Bonuszahlung für das Personal medizinischer Berufe, oder erstickt der Wunsch nach Humanität und Solidarität in einem lauten, orgiastischen Corona-Event mit billigen Grillwürstchen, den Phrasen beschönigender Werbung und einer Versteigerung des gesammelten Klopapiers für wohltätige Zwecke?
Der Imperativ „Bleiben Sie gesund“ lässt sich durch menschliches Vermögen nicht verwirklichen.
Dennoch sei es so von Herzen gewünscht, verbunden mit der Empfehlung, einem ethisch-nachhaltigen Denken den Vorzug zu geben.
(c) BZMG