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Wer in der letzten Ratssitzung (02.10.2019) die mehr als zweistündige Debatte um die „Causa Sven“ verfolgt hat, musste zu dem Ergebnis kommen, dass sich die „Transparenz-Bereitschaft“ der vom Stadtrat in den NEW-Aufsichtsrat „entsandten“ Dr. Hans Peter Schlegelmilch (CDU) und Felix Heinrichs (SPD) sowie des Hauptverwaltungsbeamten Hans Wilhelm Reiners (CDU) in seiner Funktion als Gesellschaftervertreter im NEW-Aufsichtsrat, als äußerst dürftig bis nicht vorhanden herausstellt.

(c) BZMG

Auch der extra zur Stellungnahme eingeladene NEW-Vorstand Frank Kindervatter vermochte nichts zur Klärung der Kernfrage beitragen zu können/wollen, wer veranlasst hatte, dass aus der Entscheidungsvorlage für den NEW-Aufsichtsrat der Passus herausgestrichen wurde, dass vor der Unterzeichnung des Vertrages zur Beteiligung der NEW AG an der share2drive GmbH vom Rat die Zustimmung einzuholen sei.

Um diesen „Zustimmungsvorbehalt“ drehten sich die zahlreichen Fragen der sehr gut vorbereiteten Fraktionen von FDP; DIE LINKE und B90/Die Grünen an die „Akteure“ des „Sven-Deals“.

Kindervatter beteuerte – unwidersprochen von den NEW-Aufsichtsratsmitgliedern -, dass seine Entscheidungsvorlag diesen „Zustimmungsvorbehalt“ enthalten habe.

Obwohl ihm wohl kaum jemand im Rheydter Ratssaal Glauben geschenkt hatte, konnte er nicht erklären, durch wen das Löschen dieses Passus im Beschluss veranlasst bzw. vorgenommen wurde.

Der möglicherweise auskunftsfähige NEW-Aufsichtsratsvorsitzende Hans Peter Schlegelmich hüllte sich zu diesem Thema weiterhin in Schweigen, bot jedoch mehrfach ein Gespräch an, weil er an „maximaler Transparenz“ interessiert sei.

Ein ähnliches „Angebot“ macht auch NEW-Vorstand, der in häufigem Augenkontakt mit Schlegelmilch stand, wobei auch er nicht konkret wurde, mit wem dieses Gespräch stattfinden soll.

Erfahrungen aus der älteren und jüngeren Vergangenheit lassen a es naheliegend erscheinen, dass solche Gespräche aus Sicht der „Gesprächsanbieter“ nicht in der Öffentlichkeit geführt werden sollen.

Ob sich die Sprecher von FDP, Grünen und DIE LINKE auf solche „Hinterzimmergespräche“ einlassen werden, ist fraglich und würde ihrem Ziel um Aufklärung der „Causa Sven“ – auch angesichts der Kommunalwahl im nächsten Jahr – widersprechen.

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Felix Heinrichs war der einzige, der sich etwas ausführlicher, in der Angelegenheit äußerte.

Nicht etwa, um zur Beantwortung der Frage beizutragen, wer veranlasst hatte, dass der „Zustimmungsvorbehalt“ aus der Kindervatter‘schen Entscheidungsvorlage herausgestrichen worden war.

Vielmehr verstieg sich der SPD-Fraktionsvorsitzende in einem über siebenminütigen Statement in einen Problembereich, der nicht nur NEW-Aufsichtsrats­mitglieder tangiert, sondern auch die Aufsichtsratsmitglieder anderer „verselbständigten Aufgabenbereiche“ (= städtische Beteiligungsgesellschaften) und letztlich jedes Ratsmitglied.

Dabei geht es nämlich im Kern um die Frage, wie viel Kenntnis Mandatsträger von einem Sachverhalt haben müssen, bevor sie einer Entscheidung zustimmen und in der Folge, wie eine anschließende Haftung aussehen könnte.

Fasst man die Positionen aus seine Statement zusammen, ergibt sich folgendes Bild:

Felix Heinrichs

  • sieht sich als Aufsichtsratsmitglied außer Stande Entscheidungs­vorlagen des NEW-Vorstandes soweit zu verstehen, dass er sich eine eigene Meinung bilden und auf dieser Grundlage entscheiden kann,
  • stimmt Vorlagen nach eigenem Bekunden solange zu, bis ihm jemand sagt, dass er dies nicht tun solle,
  • erwartet vom Beteiligungsmanagement der Stadt „Warnungen“, die ihm sagen, wenn er nicht zustimmen kann,
  • kritisiert die Enthaltung des städtischen Gesellschaftervertreters Hans Wilhelm Reiners in der betreffenden Aufsichtsratssitzung und
  • nennt Reiners‘ Abstimmungsverhalten als Grund dafür, dass er den Beschluss des NEW-Aufsichtsrates ohne Zustimmungsvorbehalt mitgetragen und diesem zugestimmt habe.

Ratsmitglieder und Mitglieder von Aufsichtsgremien „verselbständigten Aufgabenbereiche“ müssen sich (notfalls) soweit qualifizieren, dass sie gemäß ihrer Verpflichtungen beim Antritt ihre Mandates als Vertreter der Bürger ihre Entscheidungen in deren Sinne treffen können … und damit auch Verantwortung übernehmen … bis hin zur Haftungsübernahme.

Gerade Letzteres scheinen die meisten Ratsmitglieder für sich zu verdrängen oder aber offensiv zu negieren.

Dies vor allem, dass sie durch ihr Mandat und die damit verbundene Entscheidungsbefugnis Kern der Tätigkeit der Kommunalen Selbstverwaltung werden und in ähnlicher Weise für die Folgen ihres Handelns (z.B. Entscheidungen treffen) gerade stehen, wie Beamte und andere Mitarbeiter der Verwaltung.

Dazu hat das OLG Naumburg (Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt) in seinem Urteil vom 27.11.2008 unter Aktenzeichen 1 U 43/08 ausführlich zum Verschuldensmaßstab und zur Feststellung des Verschuldens von Gemeinderatsmitgliedern geäußert.

In dem baurechtlichen Verfahren ging es bei der Errichtung von Putenmastanlagen im unbeplanten Außenbereich um die Frage, ob die Gemeinde ihr Einvernehmen mit dem Bauvorhaben rechtswidrig versagt hat.

In diesem Verfahren vertrat die beklagte Gemeinde die Auffassung, es läge kein Verschulden der Gemeinderatsmitglieder vor.

Der Senat des OLG hingegen kam u.a. nach Prüfung von Sitzungsprotokollen zu dem Ergebnis, die Gemeinderäte hätten sogar bedingt vorsätzlich eine pflichtwidrige Entscheidung getroffen.

Für die Verschuldensfrage komme es auf die Kenntnisse und Einsichten an, die für die Führung des übernommenen Amtes im Durchschnitt erforderlich sind, d.h. auf eine stark objektivierte Sicht, nicht aber darauf, über welche Fähigkeiten die einzelnen Gemeinderäte der Beklagten im Jahre 1997 wirklich verfügten.

Insoweit gelte, dass wie jeder Beamte i.S.v. § 839 BGB, auch ein ehrenamtlicher Gemeinderat, die zur Führung seines Amtes notwendigen Rechts- und Verwaltungskenntnisse besitzen bzw. sich vor seiner Entschließung verschaffen muss.

Anderenfalls würde das Schadensrisiko bei Entscheidungen kommunaler Vertretungskörperschaften in unzumutbarer Weise auf den einzelnen Bürger verlagert werden.

Demnach stellt die Rechtsprechung hohe Anforderungen an die Sorgfaltspflichten der ehren­amtlich tätigen Mandatsträger.

Für kommunale Mandatsträger gilt nicht deshalb ein milderer Maßstab, weil sie „Laien“ sind oder sich als solche bezeichnen.

Die zur Entscheidung befugten Ratsmitglieder müssen, um nicht schuldhaft zu handeln,

  • ihre Entscheidung sorgfältig vorbereiten,
  • mögliche Konsequenzen abwägen und
  • bei fehlender Sach- oder Rechtskenntnis die Auskunft ihrer Verwaltung, sonstiger Behör­den oder externer Fachleute einholen.

Jeder Stadtrat ist für sein Verhalten bei Abstimmungen individuell verantwortlich.

Maßstab ist die objektive Rechtsordnung, wie sie z. B. im Kommunalabgabengesetz und in der Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalens definiert ist.

Irrelevant für die Frage der Schuldhaftigkeit eines Mandatsträgers sind seine politischen Überzeugungen oder das Programm seiner Partei oder seiner Fraktion.

Ein Stadtrat darf sich auch nicht blind darauf verlassen, dass die Beschlüsse seiner Fraktion rechtmäßig sind und in der Umsetzung keine Haftungstatbestände auslösen.

43 Absatz 4 GO NRW sagt über die „Rechte und Pflichten der Ratsmitglieder“ dies aus:

Erleidet die Gemeinde infolge eines Beschlusses des Rates einen Schaden, so haften die Ratsmitglieder, wenn sie

  1. in vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung ihrer Pflicht gehandelt haben,
  2. bei der Beschlussfassung mitgewirkt haben, obwohl sie nach dem Gesetz hiervon ausgeschlossen waren und ihnen der Ausschließungsgrund bekannt war,
  3. der Bewilligung von Aufwendungen und Auszahlungen zugestimmt haben, für die das Gesetz oder die Haushaltssatzung eine Ermächtigung nicht vorsieht, wenn nicht gleichzeitig die erforderlichen Deckungsmittel bereitgestellt werden.

Die Stadträte wie auch die von der Stadt entsandten Beamten im Aufsichtsräten haften wie jedermann, der am Rechtsverkehr teilnimmt, nach den Normen des Privatrechts, die auch für kommunale Kapitalgesellschaften gelten.

Die Haftung kann deshalb nicht gemäß § 839 BGB schuldbefreiend auf den öffentlich-rechtlichen Dienstherrn übergeleitet werden.

Jeder Stadtrat und jeder Kommunalbedienstete, der als Organ einer Kapitalgesellschaft tätig wird, kann im Schadensfall zusammen mit der Kommune als Gesamtschuldner verklagt werden.

Zwar sieht § 113 GO NRW zur „Vertretung der Gemeinde in Unternehmen oder Einrichtungen“ in Absatz 6 folgende Haftungsfreistellung vor:

Wird ein Vertreter der Gemeinde aus seiner Tätigkeit in einem Organ haftbar gemacht, so hat ihm die Gemeinde den Schaden zu ersetzen, es sei denn, dass er ihn vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat. Auch in diesem Falle ist die Gemeinde schadensersatz­pflichtig, wenn ihr Vertreter nach Weisung des Rates oder eines Ausschusses gehandelt hat.

Doch im vorliegenden Fall der „Causa Sven“ kann durchaus mindestens von grober Fahrlässigkeit gesprochen werden.

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In der Ratssitzung am 02.10.2019 reagierte Hans Wilhelm Reiners mit der Bemerkung, er finde es an dieser Stelle „etwas schwierig“, weil jetzt Schwarzer Peter gespielt würde und weist darauf hin, dass es eine Sitzungsunterbrechung im Aufsichtsrat gegeben habe.

„Mehr sage ich an dieser Stelle jetzt nicht“, so Reiners wörtlich.

Wer was zum Anlass dieser Sitzungsunterbrechung nahm, wer welche Absprachen mit welchen Zielen dabei getroffen hatte, lässt Reiners offen und macht die Angelegenheit noch intransparenter.

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Wenn ein (Aufsichts-)Ratsmitglied (hier: Felix Heinrichs) zu erkennen gibt und/oder dies in der deutlichen Form öffentlich artikuliert, dass er ohne dass er über die notwenige Sach- oder Rechtskenntnis verfügte, eine so weitreichende Entscheidung getroffen hat, wie die Unterbindung des „Zustimmungsvorbehalt“, stellt sich zwangsläufig die Frage nach der Qualifikation für die Bekleidung des Amtes in einem Aufsichtsrat oder gar für ein „höheres“ Amt.

Zwangsläufig ergibt sich die Qualifikationsfrage auch hinsichtlich des von Heinrichs bekleideten Amtes als Aufsichtsratsvorsitzender der NEW mobil & aktiv GmbH.

Angesichts des bisherigen Kenntnisstandes in der „Causa Sven“ stellt sich die gleiche Frage auch bezüglich des NEW-Aufsichtsratsvorsitzenden Dr. Hans Peter Schlegelmilch.

Obwohl sich dieser nicht in der Deutlichkeit wie Felix Heinrichs „geoutet“ hat, er aber durch seine Vorsitzendenfunktion die Gesamtverantwortung für die unzulässige Entscheidung des Vorstandes hat, muss auch seine Qualifikationalso solche detulich hinterfragt werden.

Auch wenn der NEW-Vorstand Frank Kindervatter erklärt, dass in seiner Entscheidungsvorlage der „Zustimmungsvorbehalt“ enthalten gewesen sei, er beteuert an einer „maximalen Transparenz“ mitwirken wolle und er geradezu flehentlich um Vertrauen bat, ohne dies explizit zu sagen, wird er die Frage beantworten müssen, warum er – wider besseren Wissens – den nicht rechtskonformen Aufsichtsratsbeschluss dennoch umgesetzt hat.