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„Wir freuen uns sehr über Ihre Bereitschaft, uns kennen zu lernen.“

So begann der Brief einer Familie aus der Oberlausitz.

Wo war die Oberlausitz?

Sachsen kannte ich vom Hörensagen. Mehr nicht.

Die Annonce hatte ich in einer hiesigen Zeitung entdeckt.

„Wir suchen eine Kontaktfamilie. Wer schreibt uns?“

Ich schrieb. „Wir würden uns freuen, Sie kennen zu lernen. Wir laden Sie ein, uns zu besuchen.“

„Ihr ladet fremde Leute ein?“

Bekannte und Freunde zeigten sich ratlos.

„Wer kommt denn da?“ „Eine Familie mit vier Kindern.“

„Wir staunen, dass Sie die Mühe und Last auf sich nehmen und uns empfangen wollen“, stand in dem Antwortbrief.

„Kurz nach Öffnung der Grenzen sind wir nach Bayreuth gefahren. Wir nahmen mit großer Freude, aber auch beschämt das Begrüßungsgeld in Empfang. Wir hatten plötzlich Geld, womit man herrliche Sachen kaufen kann. Was wir nicht hatten und was wir als schmerzlich empfanden, war, dass wir keine Freunde hatten.“

Wir bereiteten uns auf den Besuch vor und krempelten die Wohnung um.

Wir mussten Schlafgelegenheit für zwei Erwachsene und vier Kinder schaffen.

Räume wurden umfunktioniert.

Betten, Decken und Matratzen hier aufgestellt oder dort verlegt.

War auch der kleine Raum neben dem Bad zumutbar als Nachtquartier?

Wir wussten nicht, welche Ansprüche die Leute stellen würden.

Ein paar Tage vor Pfingsten kamen sie. Vier erschöpfte Kinder stiegen nach mehr als siebenhundert Kilometer Autofahrt mit ihren Eltern aus dem „Wartburg“.

Begrüßung, Staunen.

„Hier wohnen Sie?“

Am liebsten hätten sie auf der Straße ihre Schuhe ausgezogen, um nichts schmutzig zu machen. Wir hießen sie willkommen und zeigten ihnen, wie wir uns ihre Unterkunft vorstellten. Unsere logistische Zimmerverteilung wurde nicht akzeptiert.

„Wir schlafen alle in einem Raum. Wenn wir im Gewerkschaftshaus Urlaub machten, war das auch so üblich. Machen Sie keine Umstände.“  

Betten, Matratzen und Decken wurden zurück transportiert.

Der kleine Raum verwandelte sich in ein Feldlager.

Wir mussten umdenken.

Zwei Wochen lang haben wir umgedacht.

Diese Familie war anders, als wir uns das vorgestellt hatten.

Eltern und Kinder waren zufrieden damit, dass sie hier sein durften. Und sie waren ansteckend fröhlich. Sie erzählten von sich und wir von uns.

Die Zeit, die wir gemeinsam verbrachten, war voll aufregender Geschichten und Erfahrungen.

Die Tage und Nächte waren viel zu kurz, um den gegenseitigen Wissensdurst zu stillen.

Der Abschied fiel nicht leicht. Niemand wollte, dass dies die erste und letzte Begegnung war.

Dreißig Jahre ist dieses Pfingst-Erlebnis her. Ein wundersamer Geist führte uns zusammen –  der Geist der Bereitschaft, Türen zu öffnen zu Räumen und Menschen, die fremd waren und fremd gemacht wurden.

Der Keim für eine bis heute währende Freundschaft war gelegt.

Vor drei Jahren haben wir in Dresden gemeinsam Weihnachten gefeiert.

Aus der sechsköpfigen Familie von damals ist inzwischen eine Großfamilie mit Partnern und Enkelkindern geworden.

Irgendwie gehören wir dazu.

Freunde gesucht.

Es ist so einfach, welche zu finden.

Vielleicht gerade zu Pfingsten.