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Es gehört wohl zu den Mönchengladbacher Besonderheiten, dass ein Oberbürgermeister alles daran setzt, kritische Themen und Beschlüsse statt von den 68 Mitgliedern des Rates am liebsten nur von 19 Mitgliedern des Hauptausschusses behandeln bzw. treffen lassen möchte.

Auch der Vorgänger von Hans Wilhelm Reiners (CDU), Norbert Bude (SPD), hatte die Rechte der Gremienmitglieder beeinträchtigt, indem er beispielsweise die Protokollierung der Sitzungen soweit beschnitt, dass seit dem ein Nachvollziehen der Debatten nicht mehr möglich ist.

Aktuell versucht Reiners einen Erlass des NRW-Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bauen und Gleichstellung und hier bestimmte Passagen auszunutzen, die zulassen, dass in einer „epidemischen Lage von landesweiter Tragweite“ die endgültige Entscheidungskompetenz der Ratsmitglieder auf die Mitglieder des Hauptausschusses übertragen, also delegiert werden können:

(c) BZMG

.. und als PDF downloaden:

Kommunalverfassungsrechtliche Fragestellungen:
Hinweise zu aktuellen Verfahren und Vorgehensweisen im Zeitraum der Ausbreitung von COVID-19
– Vollständiger Erlass –
Aktualisierung des Erlasses vom 17. April 2020 (Stand: 24.04.2020)

Eine Voraussetzung ist allerdings, dass 2/3 der Ratsmitglieder einer derartigen Übertragung ausdrücklich zustimmen, also 46 der 68 Ratsmitglieder (+ OB).

Dieses Quorum erreichen CDU und SPD mit ihren 50 Ratsmitgliedern, sofern alle treu ihren Fraktionsvorsitzenden folgen und zustimmen.

Dazu hat Reiners alle 68 Ratsmitglieder per Postbrief angeschrieben und bis zum 13.05.2020 um ihre „Erklärung“ gebeten, worin jedoch die Möglichkeit fehlt, sich – wie bei anderen Abstimmungen – der Stimme zu enthalten.

Eine solche Abfrage ist durchaus legal, weil diese Vorgehensweise gegen kein geschriebenes Gesetz oder Recht verstößt, ob es jedoch auch legitim im Sinne von moralischen und sittlichen Verhaltensregeln ist, muss dahingestellt bleiben.

OB Hans Wilhelm Reiners erklärt in einer Pressemitteilung vom 01.05.2020: „Mit Blick auf die Größe des Rates der Stadt Mönchengladbach und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass dem Rat zahlreiche Mitglieder angehören, die schon aufgrund ihres Alters zur Risikogruppe gezählt werden, sollte diese Möglichkeit in Betracht gezogen werden. Sollte die erforderliche Zustimmungsquote von zwei Dritteln nicht erreicht werden, werde ich für den 17. Juni zu einer Ratssitzung einladen. In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, dass Sitzungen politischer Gremien ausdrücklich vom derzeit geltenden Veranstaltungsverbot ausgenommen sind.“ (Zitat Ende)

Dieser Aussage ist zum einen die unzureichende Größe des Ratssaals, zum anderen die Sorge um die Gesundheit von Ratsmitgliedern zu entnehmen, die zu Risikogruppen zählen würden.

In anderen vergleichbaren Kommunen finden Ratssitzungen – trotz Corona – als Präsenzveranstaltung statt, wie beispielsweise in Krefeld. Dort wurde die gestrige Ratssitzung (05.05.2020) im Seidenweberhaus abgehalten.

Auch Düsseldorfs Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD) verzichtet auf das Delegieren der Kompetenzen des Rates auf den Hauptausschuss und führt stattdessen die Ratssitzung am 16.05.2020 in der CCD Stadthalle durch.

Dass ausgerechnet die Nachbarstadt Korschenbroich den Mönchengladbacher OB auf die Idee gebracht hat, den Hauptausschuss als Stelle des Rates abschließende Entscheidungen treffen zu lassen, dürfte kaum anzunehmen sein, obwohl sich ein solcher Hinweis in der Pressemitteilung vom 01.05.2020 fand.

Das „Argument“ einer zu kleinen Raumgröße ist ebenso wenig nachvollziehbar wie die „Sorge“ um die „Risikogruppe“, weil geeignete Maßnahmen (Mund-Nasen-Schutz, Abstand halten, …) potenzielle Risiken erheblich reduzieren können, wie die Sondersitzung des Hauptausschusses am 20.04.2020 gezeigt hat.

Dass der Rheydter Ratssaal in der Tat unter den gegebenen Umständen zu klein ist, leuchtet ein. Ebenso einleuchtend müsste jedoch auch sei, dass es genügend Räumlichkeiten in städtischem „Zugriff“ gibt, die sowohl organisatorisch als auch ausstattungsmäßig für eine „Präsenzsitzung“ des Stadtrates in Betracht kommen.

Wie beispielsweise der Konzertsaal im Theater an der Odenkirchener Straße.

Dort hatten am 19.11.2019 ca. 300 Teilnehmer des Nominierungsparteitags der CDU an Tischen (!) Platz.

Dieser Saal verfügt über die entsprechende Veranstaltungs­technik, ausreichend Zuschauer­plätze und ist auch für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen ohne fremde Hilfe auffindbar, erreichbar und nutzbar.

Durch intelligente Anordnung der Sitzplätze und entsprechende organisatorische Maßnahmen können corona-bedingte Auflagen erfüllt und damit auch den Bedürfnissen von „Personen aus Risikogruppen“ gebührend Rechnung getragen werden.

Dass diesen Bedingungen bei Gremiensitzungen durch Verlegung des Sitzungsortes ohne Weiteres Rechnung getragen werden kann, zeigt die Tatsache, dass die Sitzung der BV West am 12.05.2020 (17:00 Uhr) in der Aula der Realschule Wickrath stattfindet.

Die Tagesordnung zu dieser BV-Sitzung wurde „im Benehmen mit den Oberbürgermeister festgesetzt“ und am 04.05.2020 veröffentlicht.

Es wäre verwunderlich, wenn OB Reiners nichts von der corona-bedingten Verlegung dieser BV-Sitzung in die Realschule gewusst hätte.

Warum die Verwaltungsspitze die Option „Stadthalle Rheydt“ für die Ratssitzung oder andere Optionen offenkundig gar nicht erst in Erwägung gezogen hat, kann also nur andere Gründe haben, die nicht mit der Corona-Pandemie im Zusammenhang stehen.

Doch welche könnten das sein? Hier eine kleine Auswahl von Fragen:

Ist der Verwaltungsspitze mit einem Baudezernenten Dr. Gregor Bonin daran gelegen, ohne umfangreiche Diskussion, also möglichst „geräuschlos“, das Projekt „19-Häuser“ und das Problem „ZOB Europaplatz“ durchwinken zu lassen?

Könnte es sein, dass derselbe Dezernent das Mammutvorhaben eines neuen Rathauses „eindampfen“ muss, weil die positiven Ergebnisse der Praxis des Home-Offices in der Verwaltung in Corona-Zeiten die Überdimensionierung deutlich macht?

Wird sich herausstellen, dass manche Dringlichkeitsentscheidungen aus der Sondersitzung des Hauptausschusses doch gar nicht oder überhaupt nicht so „dringlich“ waren, wie behauptet und die „obligatorische“ einstimmige Zustimmung des ganzen Rates (ohne Diskussion) nicht mehr so schwer ist?

Könnte es sein, dass die Verwaltungsspitze das „Delegieren“ nur deshalb ins Spiel gebracht hat, weil bei 19 Hauptausschussmitgliedern generell weniger Wortmeldungen und Diskussionsbeiträge zu erwarten sind, als bei 68?

Hat es während der Corona-Krise bislang Verwaltungsaktivitäten gegeben, zu denen man ungern in „Großer Runde“ Anfragen zu beantworten hat?

Es bleibt abzuwarten, ob die 2-Drittel-Zustimmung tatsächlich zustande kommt und ob die Ergebnisse der „Umfrage“ von OB Reiners öffentlich bekannt wird und ob daraus auch erkennbar wird, welches Ratsmitglied wie votiert hat.

Sollte die Verwaltungsspitze wirklich eine Mehrheit für ein Delegieren von Entscheidungen an den Hauptausschuss erhalten, würden die „zustimmenden“ Ratsmitglieder sich die Frage gefallen lassen müssen, welches Selbstverständnis sie von ihrer ureigenen Verantwortung der Bürgerschaft gegenüber haben.

Und vor allem: Ohne Not!

Und vor dem Hintergrund, dass nach und nach viele Restriktionen in gesellschaftlichen Bereiche gelockert werden und es auch objektiv keinen Grund gibt, im kommunalpolitischen Bereich die Restriktionen noch zu verschärfen.

Abschließend bleibt festzustellen, dass der anfangs erwähnte Erlass des NRW-Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bauen und Gleichstellung am 14.06.2020 seine Gültigkeit verliert, die Ratssitzung aber erst für den 17.06.2020 geplant ist.

Da muss wohl jemand über eine Glaskugel verfügen, wenn er annimmt, dass die Wirksamkeit des Erlasses über den 14.06.2020 hinaus noch einmal verlängert wird.