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Gerichtsentscheidungen und Verlautbarungen dazu werden von „Siegern“ und „Verlierern“ gerne so interpretiert, dass Erfolge und Mißerfolge im jeweils gewünschten Licht erscheinen. Und das sogar bei grundsätzlichen Fragen.

Offensichtlich in Kenntnis dessen und weil die Juristensprache häufig unverständlich sind, hat das Gericht die aus seinem Beschluss zu erwartenden Kernfragen „gestellt“ und gleich beantwortet:

Durch die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs, dass das Änderungsgesetz zum Kommunalwahlgesetz NRW teilweise mit der Landesverfassung unvereinbar und nichtig ist, tritt automatisch die vorhergehende, bis zum 31. August 2019 geltende Fassung des § 46c Kommunalwahlgesetz NRW wieder in Kraft.

Danach muss eine Stichwahl durchgeführt werden, wenn von mehreren Bewerbern und Bewerberinnen im ersten Wahlgang keiner mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen erhält.

Ob eine einstufige Wahl mit einfacher Mehrheit den kommunalen Hauptverwaltungsbeamtinnen und -beamten die erforderliche demokratische Legitimation verleiht, kann nicht ein für alle Mal abstrakt beurteilt werden, sondern hängt von den jeweiligen normativen und tatsächlichen Verhältnissen ab.

Die demokratische Legitimation wird insoweit insbesondere durch den Umfang der Wahlbeteiligung und den Zustimmungsgrad beeinflusst.

Im Urteil vom 26. Mai 2009 hat der Verfassungsgerichtshof die damalige Einschätzung des Gesetzgebers gebilligt. Die aktuelle Prognose genügt nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofs hingegen nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen, weil maßgebliche Tatsachen nicht einbezogen worden sind.

Der Gesetzgeber hat die zunehmende Zersplitterung der Parteienlandschaft nicht in den Blick genommen.

Diese kann dazu führen, dass zukünftig mit einem relevanten Anstieg der Zahl der kommunalen Hauptverwaltungsbeamtinnen und -beamten zu rechnen ist, die lediglich mit – unter Umständen niedrigen – relativen Mehrheiten gewählt werden.

Die Berücksichtigung dieses Umstands wäre nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofs auch ohne weiteres möglich gewesen. Ob sich der Gesetzgeber bei hinreichender Einbeziehung dieses Prognosefaktors ebenfalls für eine Ab-
schaffung der Stichwahlen entschieden hätte, spielt keine Rolle.

Nicht das Ergebnis der Prognose, sondern das Prognoseverfahren verfehlt die verfassungs­recht­lichen Anforderungen.

Seit dem 1. Juli 2017 können die Mitglieder ihre in der Beratung vertretene abweichende Meinung zu der Entscheidung in einem sogenannten Sondervotum niederlegen.

Von dieser Möglichkeit haben – nur in Bezug auf die Entscheidung zur Abschaffung der Stichwahl – drei Richter und Richterinnen des Verfassungsgerichtshofs Gebrauch gemacht.

Sie sind insbesondere der Ansicht, dass die die Entscheidung insoweit tragende Mehrheit dem Zustimmungsgrad gegenüber der Wahlbeteiligung eine zu große Bedeutung beimesse.

Der Gesetzgeber habe auf einer hinreichend fundierten und aktuellen Grundlage seine Prognose zur demokratischen Legitimation der kommunalen Hauptverwaltungsbeamtinnen und -beamten getroffen.

Diese Einschätzung des Gesetzgebers werde unter Berücksichtigung seines Prognosespielraums und der entsprechend gebotenen zurückhaltenden verfassungsgerichtlichen Überprüfung den verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht.

Es ist zwar verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass bei der – für die Einteilung der Wahlbezirke maßgeblichen – Berechnung der Einwohnerzahl nur Deutsche und EU-Ausländer und EU-Ausländerinnen zu berücksichtigen sind.

Die pauschale Abweichungs-Obergrenze von 25% bezogen auf die durchschnittliche Einwohnerzahl der Wahlbezirke darf allerdings nicht ohne Weiteres angewandt werden, sondern bedarf der beschränkenden, sogenannten verfassungskonformen Auslegung.

Jede Stimme im Gemeindegebiet muss annähernd gleich viel Gewicht haben (sogenannte Wahlrechtsgleichheit).

Dies folgt auch aus dem Grundsatz der Chancengleichheit der Kandidatinnen und Kandidaten.

Wenn es große Unterschiede bei den Wahlbezirksgrößen innerhalb einer Kommune gibt, sind in einem Wahlbezirk deutlich weniger Stimmen erforderlich, um ein Mandat zu erringen, als in einem anderen.

Dementsprechend hätten die Wahlberechtigten der jeweiligen Wahlbezirke unterschiedlich großen Einfluss auf die personelle Zusammensetzung des Rates bzw. des Kreistags.

Eine Abweichung von bis zu 15% bezogen auf die Einwohnerinnen und Einwohner mit deutscher Staatsangehörigkeit bzw. der Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedstaates ist in der Regel unproblematisch.

Eine Abweichung von mehr als 15% bei einem Wahlbezirk ist dann unproblematisch, wenn diese bei Berücksichtigung nur der Zahl der Wahlberechtigten im Verhältnis zur durchschnittlichen Zahl der Wahlberechtigten unter oder bei 15% liegt.

Ergibt sich auch bei Betrachtung (nur) der Wahlberechtigten eine Abweichung von mehr als 15%, kann dies zur Wahrung räumlicher Zusammenhänge gerechtfertigt sein.

Hinter diesem Aspekt müssen aber verfassungsrechtliche Ziele stehen, die der Wahlrechts- und Chancengleichheit vergleichbares Gewicht besitzen.

Dies können etwa die Erleichterung der Kommunikation zwischen den Wählern sowie mit den Mandatsbewerbern und damit die Förderung der politischen Willensbildung sein.

Dieser Aspekt dürfte aber nur bei weit auseinander liegenden Ortschaften in einer großflächigen Gebietskörperschaft zum Tragen kommen. Zudem kommt in Betracht, im ländlichen Bereich auf gewachsene Ortsstrukturen Rücksicht zu nehmen, um die Wahlbereitschaft zu erhöhen.

Innerhalb dieses Rahmens können auch Integrationsvorgänge Eingang in die Gewichtung finden.

Eine pauschalierende Anwendung der 25%-Klausel, etwa aus Gründen der Verwaltungs­ver­ein­fachung oder der bloßen leichteren Zuordnung des Wahlbezirks zu einem Wohngebiet, ist unzulässig.

Ein Rückgriff auf die 25%-Abweichungsklausel ist daher in einer Großstadt jedenfalls dann verfassungsrechtlich zu beanstanden, wenn es ohne weiteres möglich ist, durch die Einbeziehung angrenzender Straßenzüge oder einzelner kleinerer Stadtquartiere zu annähernd gleich großen Wahlbezirken zu gelangen.

Die tragenden Erwägungen für die Einteilung der Wahlbezirke sind vom Wahlausschuss transparent und nachvollziehbar zu dokumentieren.

Wird die 15%-Grenze überschritten, sind insbesondere die dafür herangezogenen Rechtfertigungs­gründe zu erläutern.

Das Gebot der Bildung möglichst gleich großer Wahlbezirke bezieht sich grundsätzlich auf die Zahl der dort lebenden Wahlberechtigten, weil nur diese ausschlaggebend dafür ist, ob die Stimmen in den verschiedenen Wahlbezirken annähernd gleich viel Gewicht haben.

Bei der Kommunalwahl sind nur Deutsche und EU-Ausländer und EU-Ausländerinnen wahlberechtigt.

Die gesetzliche Vorgabe, wonach die Kommunen bei der Berechnung der Einwohnerzahl die ebenfalls nicht wahlberechtigten unter 16-jährigen Angehörigen von EU-Staaten zu berücksichtigen haben, ist unter den gegebenen Umständen verfassungsrechtlich unbedenklich.

Anders wäre dies möglicherweise zu sehen, wenn insoweit eine erheblich ungleiche Verteilung innerhalb der Gemeinden bzw. Kreise in Nordrhein-Westfalen vorläge.

Dafür ist aber nichts ersichtlich.

Bei weitgehend gleichmäßiger Verteilung der unter 16-Jährigen ist in allen Wahlbezirken annähernd dieselbe Stimmenzahl erforderlich, um ein Mandat zu erringen.

Allerdings haben die Kommunen bei der konkreten Einteilung der Wahlbezirke die Pflicht, diesen Umstand gegebenenfalls zu berücksichtigen.