Seite auswählen

Diese Fragen stellt man sich, wenn es um die Versorgung des Südens Deutschlands mit „Offshore-Windkraftstrom“ von der Nordsee geht. Die Spontane Antwort lautet: Nichts!

Allenfalls könnte Ampriom-„A-Nord“ für den hiesigen Raum von Interesse sein.

Dabei geht es meist um Standortfragen beispielsweise der Konverter, die Wechselstrom in Gleichstrom umwandeln (oder umgekehrt) und um die Führung von Stromleitungen und deren Auswirkungen auf die Bürger.

Bei den ganzen Diskussionen bleibt die Frage nach den finanziellen Auswirkungen für die Stromkunden (zunächst noch) zweitrangig.

Aber nur scheinbar. Denn anlässlich einer Fachtagung mit dem Titel „Klimawandel und Umweltrecht“ am 19.07.2019 in der Würzburger Residenz wurde deutlich, mit welche hohen Renditen Stromnetzbetreiber TenneT (eines niederländisches Staatsunternehmen), Amphriom usw. kalkulieren, die letztendlich im Strompreis der Endkunden wiederzufinden sein werden.

Darüber und zur Frage, nach der Notwendigkeit dieser Stromtrassen angesichts vielfältiger regionaler „Stromquellen“ führte der stellvertretende Vorsitzende der überparteilichen Initiative Zukunft für Würzburg (ZfW) Michael Kraus mit dem renommierten Würzburger Fachanwalt für Verwaltungsrecht Wolfgang Baumann und dem Leiter des Zentralbereichs Unternehmensentwicklung der N-ERGIE Nürnberg und erklärten Gegner des Ausbaues von Stromverteilungsnetzen, Rainer Kleedörfer, ein Interview, das wir mit freundlicher Genehmigung der ZfW hier veröffentlichen:

ZfW (Michael Kraus)»

Herr Rechtsanwalt Baumann, Sie sind einer der führenden Verwaltungsrechtsanwälte in Deutschland. Am 19. Juli fand die von Ihnen initiierte Fachtagung Klimawandel und Umweltrecht mit hochkarätigen Referenten in Würzburg statt; was war Ihre Motivation hierzu?

RA Wolfgang Baumann:

Seit Beginn meiner anwaltlichen Tätigkeit war für mich der rechtliche Schutz der Umwelt in allen wesentlichen Verfahren ein zentrales Thema. Ganz gleich ob es nun Atomanlagen wie die atomare WAA Wackersdorf, Kraftwerke, Abfallentsorgungsanlagen, Flughäfen oder Autobahnen waren, ich hatte immer den Eindruck, dass der Gesetzgeber latent weit hinter seinen Möglichkeiten zurück blieb, wenn es um den Umwelt- und Natur­schutz, insbesondere auch den Immissionsschutz, ging.

Das war in Deutschland und Europa so. Dass sich die Klimasituation irgendwann dramatisch verschlechtern würde, war zu erwarten.

Unsere Fachtagung „Klimawandel und Umweltrecht“ hat sich daher ganz gezielt damit befasst, welche rechtlichen Maßnahmen im Umweltschutz ganz aktuell erforderlich sind, unsere Lebenswelt in Zeiten eines beschleunigten Klimawandels zu erhalten. Hierzu gehörte auch die Frage, was getan werden muss, damit die Energiewende gelingt.

Deswegen hatte ich Herrn Rainer Kleedörfer von der N-ERGIE Aktiengesellschaft, Nürnberg, als Referenten eingeladen.

ZfW»

Herr Kleedörfer, Sie sind in verantwortlicher Position eines der größten deutschen Energieversorger, der N-ERGIE Aktiengesellschaft tätig. Es war überraschend, wie kritisch Sie die Pläne des Bundeswirtschaftsministers und der Übertragungsnetzbetreiber bewerten, große Stromautobahnen von Nord nach Süd zu bauen.

Offiziell sind SuedLink und Suedost-Link ja gerade dazu da, den Ökostrom von der Nordsee nach Süddeutschland zu leiten.

Herr Kleedörfer, warum sind Sie gegen den geplanten massiven Ausbau des Stromübertragungsnetzes?

Rainer Kleedörfer:

Zu Beginn wurde von den Übertragungsnetzbetreibern, der Bundesnetzagentur und anderen Befürwortern von großen Stromleitungen der Politik und den Bürgerinnen und Bürgern erzählt, dass dieser Trassenneubau erforderlich ist, um Windstrom aus dem Norden und Osten nach Süden zu transportieren, damit dort quasi das Licht nicht ausgeht.

Diese Aussage war aber von Anfang an nicht richtig.

Das Hauptmotiv war und ist, den europäischen Stromhandel zu forcieren. Dazu muss man wissen, dass jede erzeugte Kilowattstunde zigmal quer durch Europa gehandelt wird, bevor diese auch tatsächlich verbraucht wird.

Große Anteile an diesem Handel haben internationale Finanzinvestoren. Das Argument der Versorgungssicherheit für den Süden Deutschlands ist also nachgelagert.

ZfW»

Hat die Politik da vielleicht ein falsches Spiel gespielt?

Rainer Kleedörfer:

Vorrangiges Motiv ist der europäische Stromhandel. Dies haben mittlerweile auch Übertragungsnetzbetreiber und beispielsweise Bundesnetzagentur eingestanden.

Diese haben bei den Bürgerinnen und Bürgern, die sich mittlerweile in zahlreichen Bürgerinitiativen gegen diesen massiven Ausbau des Stromübertragungsnetzes organisiert haben, massiv Vertrauen verloren.

ZfW»

Herr Kleedörfer, dann braucht man nach Ansicht der N-ERGIE diesen gewaltigen Ausbau des Stromübertragungsnetzes also nicht für das Gelingen der Energiewende?

Rainer Kleedörfer:

Nein, Überhaupts nicht!

Schauen wir uns doch einmal die Fakten an: Die aktuell über 1,7 Mio. Fotovoltaik-Anlagen sind allesamt am sogenannten Stromverteilnetz – also dem durch die Stadtwerke und Regionalversorger wie N-ERGIE oder auch WW betriebenen Stromnetz – angeschlossen.

Ebenso befinden sich die aktuell knapp 1 Mio. Wärmepumpen, alle aktuell rund 20.000 Ladepunkte für Elektromobilität ebenso wie die aktuell rund 130.000 Batteriespeicher im regionalen Verteilnetz, genauso wie alle knapp 8.000 Biomasseanlagen.

Selbst die Windräder an Land sind zu gut 90% an das Strom­verteilnetz der Stadtwerke und Regionalversorger angeschlossen. Energiewende und übrigens auch wirksamer Klimaschutz findet somit heute und zwin­gend auch morgen regional statt.

ZfW»

Herr Kleedörfer, das sind ja beeindru­ckende Daten, die Sie hier aufführen; aber was ist denn dann das Motiv der Übertragungs­netzbetreiber, den gewaltigen Trassenausbau voranzutreiben?

Rainer Kleedörfer:

Das müssen Sie TenneT und die anderen drei Übertragungsnetzbetreiber fragen.

Oder Sie fragen den holländischen Staat, dem TenneT vollständig gehört.

Für das Gelingen der Energiewende oder für das Erreichen der Klimaschutzziele braucht man diesen gewaltigen Übertragungsnetzausbau jedenfalls nicht.

Allerdings ist das Geschäftsmodell der Übertragungsnetzbetreiber schon interessant: Diese erhalten nämlich für ihre Investitionen eine staatlich garantierte Verzinsung über mehrere Jahrzehnte, die hoch attraktiv ist.

Das bedeutet mathematisch, dass der Gewinn dieser Unternehmen steigt, je teurer die Investitionen in den Übertragungsnetzausbau sind.

ZfW»

Herr Rechtsanwalt Baumann, mit Ihrer Kanzlei unterstützen Sie juristisch zahlreiche Kommunen und auch Bürgerinitiativen, die gegen die geplanten Mega-Stromtrassen sind. Warum?

RA Wolfgang Baumann:

Wenn man davon ausgeht, dass man bei konsequentem und nachhaltigem Verfolgen einer dezentralen Energiewende keine der geplanten „Monstertrassen“ benötigt, fehlt es an einer rechtlichen Rechtfertigung für die Planfeststellung.

Auch das Potenzial der Optimierung oder Verstärkung bestehender Leitungen wurde entge­gen den gesetzlichen Vorschriften nicht voll ausge­schöpft.

Zudem: Die Verteilung der Lasten des unter dem Deckmantel der Energiewende überdimensionierten Leitungsausbaus über das Netzentgelt auf die Schultern der Bürger ist in höchstem Maße nicht nur sozial ungerecht, sondern auch rechtlich fragwürdig.

Mit einer garantierten Rendite von knapp 7% und Kosten von mehr als 80 Milliarden Euro wird der Strompreis für den Einzelnen ganz massiv steigen.

Es ist schon skandalös, dass die einzelnen Strombezieher die Kosten des Netzausbaus alleine tragen sollen; die europäischen Energieversorger nutzen sie aber für ihre Milliardengeschäfte, ohne an diesen Kosten beteiligt zu werden.

ZfW»

Herr Kleedörfer, erlauben Sie hierzu noch eine Nachfrage: Wie verteilen sich denn die Kosten der Übertragungsnetzbetreiber im Einzelnen?

Rainer Kleedörfer:

Die geschätzte Investitionshöhe für den geplanten Übertragungsnetzausbau lagen vor zwei Jahren noch bei rund 33 Milliarden Euro, das sind 33.000 Millionen Euro.

Die aktuelle Schät­zung liegt bereits bei rund 61 Milliarden Euro, also grob eine Verdopplung innerhalb von nur zwei Jah­ren.

Jeder, der sich mit Bauen auskennt, kann be­stätigen, dass die Baukosten auch in den nächsten Jahren nur eine Richtung kennen – nämlich nach oben.

Seriös muss man davon ausgehen, dass nach Fertigstellung die Grenze von 100 Milliarden Euro erreicht oder sogar überschritten wird.

Diese Inves­titionskosten werden im Kern durch die Haushalte und den Mittelstand bezahlt werden müssen.

Das bedeutet folglich, dass die Strompreise für diese Kunden weiter ansteigen werden. Haushalte und auch Mittelstand werden nach unseren Berechnun­gen somit mit rund 3-4 Milliarden Euro jährlich zu­sätzlich belastet.

ZfW»

Herr Rechtsanwalt Baumann, Ihr Fach­gebiet ist Umweltrecht.

Kann man denn ein­fach so diese Stromtrassen in die Landschaft bauen?

RA Wolfgang Baumann:

Derzeit laufen in Deutsch­land vielerorts die Erörterungstermine im Bundesfachplanungsverfahren, einem speziellen rechtli­chen Verfahren zur Findung der Trassenkorridore.

Es hat sich gezeigt, dass auch bei Erdleitungen er­hebliche Beeinträchtigungen von Natur und Umwelt zu erwarten sind. Vor allem das Grundwasser und Oberflächenwasser, aber auch der Lebensraum von Tieren werden über tausende Hektar beeinträchtigt.

Einige Kommunen haben Beschlüsse, gegen die HGU-Trassen zu klagen.

Es wird daher zu erhebli­chen Verzögerungen für den Bau der Trassen kom­men, auch wenn der Gesetzgeber nunmehr erneut eine Beschleunigungsnovelle verabschiedet hat

ZfW»

Herr Kleedörfer, was können wir alter­nativ zum massiven Stromübertragungsnetzausbau tun?

Rainer Kleedörfer:

Die Energiewende muss vor Ort, also regional organisiert werden. Dafür stehen wir als kommunales Unternehmen, das den Bürgerinnen und Bürgern der Region verpflichtet ist.

Aber nicht nur wir als Energieversorger sind in der Pflicht.

Auch die Hauseigentümer, die Gewerbebetriebe etc. müssen handeln, sprich investieren, denn es sind ihre Gebäude und es ist ihr Geld.

Die bereits erwähnte Zahl von aktuell über 1,7 Mio. Fotovoltaik-Anlagen oder die knapp 1 Mio. Wärmepumpen belegen eindrucksvoll, dass Bürgerinnen und Bürger sowie die unternehmen vor Ort investieren.

ZfW»

Herr RA Baumann, was muss der Gesetz­geber tun, damit die Energiewende gelingt?

RA Wolfgang Baumann:

Dazu bedarf es guter und verlässlicher Gesetzgebung.

Die für Energiewende und Klimaschutz relevante heutige Gesetzgebung ist an vielen Stellen widersprüchlich und ungeeig­net, die Energiewende- und Klimaschutzziele, zu denen sich Deutschland ja international verpflich­tet hat, zu erreichen.

Wesentlich ist auch, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien auch im Süden weitergeht.

Für die Windräder muss die extreme 10H-Regelung fallen.

Sie hat 2018 jeden Neubau von Windkraftanlagen in Bayern verhindert. Die Akzeptanz für eine weitere Flächennutzung für Fotovoltaik würde steigen, wenn auch die vorhandenen Dachflächen wesentlich öfter genutzt würden.

Hier liegt ein Schlüssel bei den Kommunen, die über ihre Bauleitplanung gestalten können.

ZfW»

Herr Kleedörfer, bei der Klimatagung haben Sie technische Alternativen zu den Megastromtrassen angesprochen. Gibt es da eine realistische Chance, diese zeitnah zu verwirk­lichen?

Rainer Kleedörfer:

Für den innerdeutsche Energie­transport – auch vom Norden in den Süden – lässt sich das zeitnah vorhandene Erdgasnetz mit sei­ner Länge von rund 530.000 km sehr gut nutzen. Windstrom im Norden wäre mittels Power-to-Gas-Technologie in „Windgas“ zu wandeln und über das vorhandene Erdgasnetz zu transportieren.

Will die Politik absolute Sicherheit, dann sollten im Süden noch 4-5 Gaskraftwerke gebaut werden.

Diese kos­ten ein Zwanzigstel des Betrags, den der Ausbau der Stromübertragungstrassen verschlingen dürfte. Zudem sind die Bauzeiten hierfür um ein Vielfaches niedriger als bei diesen Stromtrassen.

ZfW»

Danke für das ausführliche Interview.