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Mit einer Gegenstimme der AfD beschloss der Kulturausschuss der Stadt Mönchengladbach am 01.12.2020 den Auftrag an die Verwaltung, ein Konzept zur Überprüfung  von Straßennamen, die sich auf historische Persönlichkeiten und geografische Ortsangaben beziehen, vorzulegen.

Zudem wurde die Verwaltung aufgefordert, einen Änderungsvorschlag für die Straßenbenennungsrichtlinien vorzulegen, um so Umbenennungen von Straßen zu ermöglichen, wenn die Ehrung des Namensgebers aus heutiger Sicht mit den Grundsätzen einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft unvereinbar ist.

Mittels eines Kriterienkatalogs soll in Anlehnung an Erfahrungen in anderen Städten – beispielsweise Düsseldorf –  zur Erstellung entsprechender Gutachten eine Kommission von Fachleuten („Historiker*innen-Kommission“) eingerichtet werden.

Dabei soll es drei Kategorien geben:

  • In die Kategorie A fallen schwer belastete Straßennamen,
  • in die Kategorie B fallen diskussionswürdige Straßennamen, die einer näheren Erklärung und Einordnung etwa durch Info-Tafeln bedürfen und
  • in die Kategorie C fallen unbedenkliche Straßennamen.

Eine aus den Kultursprecher*innen der Ratsfraktionen und dem für Kultur verantwortlichen Beigeordneten Dr. Fischer bestehende Arbeitsgruppe will bis zur nächsten Sitzung des Kulturausschusses im September Personalvorschläge für die Kommission erarbeiten.

So überfällig die Errichtung einer Historiker*innen-Kommission auch ist – 2012 wurde ein entsprechender Antrag von DIE LINKE noch ablehnt – so unverständlich bleibt, warum Einzelfallentscheidungen ausgeschlossen sind.

Der Fraktionsantrag von DIE LINKE, die Lettow-Vorbeck-Straße, die Hindenburgstraße und die Bismarckstraße in einem öffentlichen Verfahren mit Bürgerbeteiligung umzubenennen, wurde mit allen Stimmen der anderen Fraktionen am 29.04.2021 im Kulturausschuss abgelehnt.

Die Faktenlage im Falle Lettow-Vorbeck ist jedoch von so überwältigender Überzeugungskraft, dass es zur Überprüfung keines weiteren Gutachtens bedarf.

So verwies auch die RP in einem Artikel vom 01.05.2021 auf seine maßgebliche Beteiligung an der Vernichtung der Herero im heutigen Namibia.

Nach jahrelangen Verhandlungen ist die Bundesrepublik nun bereit, die Tötung zehntausender Menschen in dieser früheren Kolonie „Deutsch-Südwestafrika“ als Völkermord anzuerkennen und in der Person des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier bei einem Festakt im namibischen Parlament offiziell um Entschuldigung zu bitten.

Um den Völkermörder, Kriegsverbrecher, Rassisten und Antisemiten Paul Emil von Lettow-Vorbeck umfassender beurteilen zu könne, lohnt ein ausführlicherer Blick auf seine Biografie.

Biografie Paul Emil von Lettow-Vorbeck

1870 als Spross einer pommerschen Adelsfamilie in Saarlouis geboren, erhielt er nach dem Besuch der Eliteschule für den militärischen Führungsnachweis als erster Abiturient dieser Schule überhaupt eine kaiserliche Belobigung.

Nach der Beförderung zum Oberleutnant 1895 und Abkommandierung zum großen Generalstab 1899 wechselte er 1900 freiwillig in die I. Ostasiatische Infanteriebrigade zur Niederwerfung des „Boxeraufstandes“ in China getreu der berüchtigten „Hunnenrede“ Kaiser Wilhelms II.:“…dass niemals wieder ein Chinese es wagt, einen Deutschen auch nur scheel anzusehen“.

1904 meldete er sich zur „Schutztruppe“ für Deutsch-Südwestafrika als Erster Adjutant des Generals Lothar von Trotha, dessen Strategie einer Einkesselung und Vernichtung der Herero am Waterberg er nachdrücklich unterstützte:

„Ich glaube, dass ein Aufstand solchen Umfangs erst mal mit allen Mitteln ausgebrannt werden muss. Der Schwarze würde in Weichheit nur Schwäche sehen.“

Nach weiteren Beförderungen und Tapferkeitsauszeichnungen wurde er im April 1914 zum Kommandeur der „Schutztruppe“ in Deutsch-Ostafrika (den heutigen Ländern Tansania, Burundi und Ruanda entsprechend) ernannt.

Dort kam es ab August 1914 zu Kriegshandlungen, obgleich die „Schutztruppe“ nicht für militärische Unternehmungen gegen einen äußeren Feind vorgesehen war.

Der bereits damals einsetzenden Legendenbildung als „leuchtendes Beispiel deutschen Soldatentums“ mit „ritterlicher“ Kriegsführung stehen tatsächliche massive Verstöße gegen die Haager Landkriegsverordnung mit Einsatz von Dum-Dum-Geschossen, Ermordung von verwundeten alliierten Soldaten, Verstümmelung von Toten und der völkerrechtswidrigen Verletzung der portugiesischen Neutralität im angrenzenden Portugiesisch-Ostafrika entgegen.

Nach Schätzungen von Prof. H. Bley, Hannover, kostete die von ihm verantwortete Kriegsführung insgesamt etwa 700.000 Menschenleben entsprechend zehn Prozent der damaligen Gesamtbevölkerung.

Nach der Ausweisung 1919 aus dem nun unter britischem Mandat stehenden Ostafrika erfolgte die Ernennung zum Kommandeur einer Reichswehrbrigade, die bei den „Sülze-Unruhen“ in Hamburg wie im Feindesland auftrat: „Gottlob ging mir als Afrikaner der Ruf von Rücksichtslosigkeit voraus.“

Ab November 1919 war er Mitglied des „Stahlhelms“ dessen Grundforderungen die Schaffung eines „völkisch großdeutschen Reichs“, die Bekämpfung der Sozialdemokratie und des „Händlergeistes des Judentums“ sowie die Politik des „Raums im Osten“ umfassten.

Im März 1920 beteiligte er sich maßgeblich am Kapp-Lüttwitz-Putsch, weswegen im Juni 1920 eine Anklage wegen Hochverrats eröffnet wurde.

Das Verfahren wurde jedoch wegen eines kurz zuvor erlassenen Gesetzes, das Straffreiheit für Personen vorsah, die an einem hochverräterischen Unternehmen nicht als „Urheber oder Führer des Unternehmens“ teilgenommen hatten, eingestellt.

Ab 1919 betätigte Lettow-Vorbeck sich auch publizistisch.

In seinem bekanntesten Buch „Heia Safari“ bezeichnete er die Massai als „verlogen“ und als „Ur-Juden“ und die Afrikaner insgesamt als „primitive Schwarze“ mit geringer Intelligenz.

Nachdem er vergeblich auf eine Wiederverwendung in der Wehrmacht hoffte („Die Jungen stehen im Felde und man selbst sitzt hinterm Ofen“), folgte 1938 die offizielle Verabschiedung aus dem Wehrdienst; am 27.08.1939 erfolgte anlässlich des „Tannenberg-Tages“ durch Hitler die Ernennung zum General z.b.V. aus propagandistischen Gründen im Sinne eines Kolonialrevisionismus.

 

In seinen 1957 erschienenen Memoiren („Mein Leben“) legitimierte Lettow-Vorbeck die das Kriegsrecht verletzenden Erschießungen der Herero sowie die Vertreibung und Ermordung der Zivilbevölkerung.

Seine Beisetzung am 13.03.1964 geschah mit allen militärischen Ehren.

Der damalige Bundesverteidigungsminister von Hassel, selbst Sohn eines Schutztruppenoffiziers aus Deutsch-Ostafrika, würdigte ihn als „wahrhaft im Felde unbesiegten Verteidiger Deutsch-Ostafrikas.“

Wie kam es zur Benennung der Lettow-Vorbeck-Straße in Mönchengladbach?

Der parteilose Mönchengladbacher Oberbürgermeister Hans Poeschel (1933 – 1937), der selbst als Jurist von 1912 bis 1914 in der Kolonial-Verwaltung Deutsch-Ostafrikas tätig war und sich als „alten Afrikaner“ bezeichnete, bat in einem mit „Salam Sana, H.H.“ unterzeichneten Brief am 11.09.1935 Lettow-Vorbeck darum, eine Straße nach ihm benennen zu dürfen, obwohl nach einem Erlass des Reichsinnenministers Frick vom 30.5.1934 Neu-und Umbenennungen nach lebenden Personen untersagt war.

Poeschel in seinem Brief an Lettow-Vorbeck: „Wir wollen damit zum Ausdruck bringen, dass auch die Bürgerschaft M.Gladbachs zumal unter der Führung eines alten Afrikaners erfüllt   ist von Stolz auf die koloniale Vergangenheit und von dem Glauben an eine koloniale Zukunft des Deutschen Reiches. In Ihnen, hochverehrter Herr General, verehren wir die lebendige Verkörperung unserer kolonialen Tradition und Zuversicht.“

Lettow-Vorbeck reiste, sich von diesem Ansinnen geehrt fühlend, eigens nach M.Gladbach, wie Mönchengladbach damals hieß, um an der offiziellen Umbenennung teilzunehmen.

Wie ging es nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs weiter?

Der Alliierte Kontrollrat forderte am 13.05.1946 in seiner Direktive Nr. 30 die Entfernung aller Symbole des alten Regimes zum 01.01.1947.

In der Rhein-Ruhr-Zeitung vom 11.04.1947 wurde auf die Umbenennungspflicht aller Straßen und Plätze mit nationalistischem oder militaristischem Charakter hingewiesen (erwähnt wurden hier auch übrigens die Hindenburgstraße und die Ostmarkstraße).

Für die Lettow-Vorbeck-Straße standen zur Debatte: Rosenweg/En de Rös/Helenabrunner Weg.

Aus letztlich nicht zu klärenden Gründen wurden diese Vorgaben nicht realisiert.

Auch im Städtischen Archiv findet sich dazu kein Hinweis.

Debatten um die kritische Aufarbeitung der kolonialen Zeit Deutschlands fanden erst ab den späten 90erJahren statt und wurden nach dem 100. Jahrestag des Beginns des Befreiungskriegs der Herero im Januar 2004 und im Zuge der Klage auf Wiedergutmachung gegen die Bundesrepublik Deutschland intensiviert.

So legten die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages am 05.09.2014 einen Überblick über den Stand der geschichtswissenschaftlichen Forschung zu Lettow-Vorbeck vor.

Umbenennungen der nach Lettow-Vorbeck benannten Straßen, Plätze und Kasernen – auch in seiner Heimatstadt Saarlouis – fanden teilweise schon sofort nach Kriegsende statt (wie etwa in Köln), wurden jetzt jedoch auch in Mönchengladbach mit Nachdruck gefordert:

 

  • Am 10.11.2010 stellte Joe Hüskens (Bündnis 90/Die Grünen) einen Antrag auf Umbenennung, der ebenso wie ein erneuter nun gemeinschaftlicher Antrag der Grünen, der Linken und der Piratenpartei am 30.04.2014 vom Rat abgelehnt wurde.

 

  • Der Vorschlag von Reinhold Schiffers (SPD, seinerzeit Bezirksvorsteher Nord) vom 16.07.2016, den ergänzenden Hinweis „Deutscher General, Organisator des Völkermordes an 100.000 Herero in Südwestafrika“ an den Straßenschildern anzubringen, wurde von seinem Nachfolger als Bezirksvorsteher, Herbert Pauls (CDU), als „unsachlich“ abgelehnt.

 

  • Abgelehnt wurde am 13.11.2019 auch der von der Regionalgruppe Mönchengladbach/Viersen der IPPNW (Internationale Ärzte*innen für die Verhütung des Atomkrieges – Ärzte*innen in sozialer Verantwortung) am 22.3.2019 eingebrachte Bürgerantrag nach § 24 GO NRW, in dem darauf hingewiesen wurde, dass die Persönlichkeit von Lettow-Vorbeck, sein Verhalten und auch dessen Nachwirkungen keinerlei Anlass geben für eine wie auch immer gestaltete öffentliche Ehrung, erst recht nicht durch eine Stadt, die sich den unveräußerlichen Menschenrechten, den demokratischen Grundwerten und der Friedenssicherung verpflichtet fühlt.

Im Interesse des öffentlichen Ansehens sollte die Stadt sich unmissverständlich von einem Kriegsverbrecher abgrenzen, der maßgeblich an einem Völkermord beteiligt war und bis zu seinem Lebensende keinerlei Reue zeigte.

So zählt Mönchengladbach weiterhin zu der unrühmlichen Gruppe der Städte, die sich aus unterschiedlichen Gründen einer Umbenennung verweigert haben.

Nach einer Erhebung von Kai Biermann für Zeit Online waren das am 28.11.2018 außer Mönchengladbach noch Bünde, Cuxhaven, Delmenhorst, Kaiserslautern, Radolfzell und Völklingen.

Für den hier bewusst ausführlich dargestellten Völkermörder und Kriegsverbrecher Paul Emil von Lettow-Vorbeck darf es keinen Platz auf irgendeinem Straßenschild geben.

Damit werden seine Opfer und deren Nachfahren verhöhnt.

Für diese Erkenntnis wird – so sinnvoll sie auch grundsätzlich ist –  keine Historiker*innen-Kommission benötigt, sie ist zur Genüge dokumentiert.

Im Interesse der Bürger unserer Stadt sollte eine Umbenennung rasch und unbürokratisch erfolgen.

 

Weiterführende Literaturempfehlungen:

  • Uwe Schulte-Varendorff: Kolonialheld für Kaiser und Führer. General Lettow-Vorbeck – Mythos und Wirklichkeit. Ch. Links Verlag, Berlin ( Diesem Buch habe ich auch die wörtlichen Zitate von Lettow-Vorbeck entnommen),
  • H. Bley: Gutachten über Paul Emil von Lettow-Vorbeck. In: Hannoversche Geschichtsblätter, Band 62 (2008)
  • Bartholomäus Grill: Wir Herrenmenschen. Siedler, 2019
  • Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages (WD 1 – 3000 – 061/14)