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Nach Schätzungen des Bundes für Umwelt und Naturschutz in Deutschland (BUND) werden jährlich etwa 60.000 Lkw-Ladungen Gülle aus den Niederlanden nach Deutschland importiert.

Kein Wunder, denn bei den niederländischen Nachbarn sind die Düngerhöchstgrenzen wesentlich strenger als hierzulande.

Jüngstes Beispiel: Am vergangenen Gründonnerstag bemerkten Anwohner in Giesenkirchen-Schelsen frühmorgens zwei Tanklastzüge in der Nähe von „Haus Horst“, die dort Gülle anlieferten.

Geschätzte Auslieferungsmenge: 56 Kubikmeter.

Die Gülle wurde dann auf den angrenzenden Feldern in der Gemarkung Schelsen ausgebracht.

Anwohner wandten sich mit ihren Beobachtungen an die Grünen, nicht ohne vorher Fotos von dieser Aktion gemacht zu haben.

(c) BZMG

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Hajo Siemes, Umweltexperte und Sprecher der Grünen in der Bezirksvertretung Ost, nahm sich der Sache an und forschte nach.

„Es ist ja hinlänglich bekannt, dass es infolge der industriellen Massentierhaltung mehr Gülle gibt, als von Böden und Pflanzen aufgenommen werden kann. Gern wird Gülle aus dem benachbarten Ausland importiert, weil dort noch weniger Fläche zur Verfügung steht. Außerdem sind Gülle-Flächen teuer. An den niederländischen Gülle-Börsen werden horrende Preise für die Abgabe des so genannten Wirtschaftsdüngers bezahlt“.

Hintergrund: Die Kosten für die Gülle-Verwertung sind in Deutschland mit 6-8 Euro pro Kubikmeter deutlich niedriger als in den Niederlanden.

Das Agieren der niederländischen Gülle-Exporteure hier im Grenzgebiet belaste die hiesige Umwelt und treibe zugleich die Kosten an den deutschen Gülle-Börsen in die Höhe, sagt Siemes.

Er hat sich mit Fragen zu den Beobachtungen in Schelsen sowohl an die Untere Wasserschutzbehörde als auch an die Landwirtschaftskammer NRW gewandt.

„Die für das Gebiet Mönchengladbach/ Neuss zuständige Kammer versicherte mir, von einem Verstoß gegen düngerechtliche Vorgaben sei im aktuellen Fall in Schelsen zunächst nicht auszugehen“, berichtet Hajo Siemes.

Fakt ist aber, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) bereits 2018 von der deutschen Bundesregierung eine grundlegende Verbesserung der so genannten Gülle-Verordnung forderte.

Die Bundesregierung wurde in einem Vertragsverletzungsverfahren durch die EU-Kommission wegen der zu hohen Nitratbelastungen auf deutschen Feldern, Äckern und Wiesen vor allem durch die Landwirtschaft gerügt.

Zu guter Letzt wurde man aktiv: Die überfälligen Änderungen wurden am 27.03.2020 im Bundesrat verabschiedet und sollten ab Mai 2020 in Kraft treten.

Jetzt droht sie wiederum verschoben zu werden  – wegen der Corona-Krise.

Der Bundesrat hat am 27.03.2020 der neuen Düngeverordnung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft unter der Bedingung zugestimmt, dass die Länder bis Ende des Jahres Zeit zur Ausweisung von besonders belasteten Gebieten erhalten.

Setzt das Bundesministerium diese Änderungsmaßgabe um, kann es die Verordnung im Bundesgesetzblatt verkünden und wie geplant am Tag darauf in Kraft treten lassen.

Die überfälligen Änderungen sollten ab Mai 2020 in Kraft treten.

Jetzt droht sie wiederum verschoben zu werden  – wegen der Corona-Krise.

Mit der neuen Düngeverordnung reagiert die Bundesregierung auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs.

Dieser hatte am 21.06.2018 festgestellt, dass Deutschland die EG-Nitratrichtlinie nur unzureichend umgesetzt hat.

Zudem seien die Nitratwerte im deutschen Grundwasser zu hoch.

Ziel der neuen Regeln ist es, Düngemittel in der Landwirtschaft gezielter einzusetzen und umweltschädliche Nitrateinträge in Gewässer zu vermeiden.

Die Bundesregierung erhofft sich Einsparungen, vor allem bei der Anwendung von Mineraldüngemitteln.

Die vom Bundesrat beschlossene Verlängerung der Übergangsfristen erfolgte vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie.

Sie beruht auf einer Einigung zwischen der Bundesregierung und der Europäischen Kommission.

In der Begründung betont der Bundesrat, die Verlängerung setze ein wichtiges Signal in der aktuellen Krisensituation in Richtung der landwirtschaftlichen Betriebe.

Sie diene auch einer sachgerechten Bearbeitung der mit der Novelle vorgesehenen Neuausweisung der gefährdeten Gebiete durch die Umwelt- und Landwirtschaftsverwaltungen der Länder.

In einer zusätzlichen Entschließung weist der Bundesrat allerdings auf 19 (!) Unzulänglichkeiten der Verordnung aus fachlicher, rechtlicher und vollzugsseitiger Sicht hin.

Die Zustimmung habe er nur deshalb nicht an eigentlich erforderliche Änderungsvorgaben geknüpft, um das Risiko eines zweiten Vertragsverletzungsverfahrens der EU-Kommission gegen die Bundesrepublik zu vermeiden.

Davor hatte die Bundesregierung ausdrücklich gewarnt und damit indirekt Einfluss auf die konsequente und durchaus vermutlich lang anhaltende Detailkritik genommen.

Dass die Gefahr eines zweiten Vertragsverletzungsverfahren durch zögerliche Reaktion der Bunderegierung – und hier von Landwirtschaftsministerin Klöckner (CDU) – auf die Kritik der EU in der Angelegenheit „Gülle & Grundwasserbelastung“ erst entstand, wird nicht näher eingegangen.

Die umfangreiche Entschließung zeigt detailliert die verschiedenen Defizite der Verordnung auf und bittet die Bundesregierung, im Benehmen mit den Ländern durch künftige Regelungen und Verwaltungsvereinbarungen Abhilfe zu schaffen.

So werden die durch anhaltende Gülle-Transporte aus den Niederlanden gefährdeten Regionen von NRW und Niedersachsen auf absehbare Zeit keine Entlastungen erfahren.

„Kernpunkt der aktuellen Änderungen ist die pauschale Kürzung der Stickstoff-Düngung um 20 Prozent in den Gebieten, die besonders mit Nitrat belastet sind“, erläutert Hajo Siemes.

Das Auftragen von Dünger wie z.B. Gülle unterliege nach der neuen Gesetzgebung einer Dokumentationspflicht seitens der Landwirtschaft.

Hierüber könne zukünftig festgestellt werden, ob gegen die Verordnung verstoßen wird.

„Nicht nur wir Grüne bezweifeln, ob die jetzt verabschiedete Verordnung ausreicht, um der Verschmutzung des Grundwassers und der Gewässer insgesamt zu genügen“, betont Siemes.

Er verweist auf Aussagen von Dr. Stefan Möckel, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), der festgestellt hatte, dass die Novelle insgesamt zu kurz greife mit ihrer Fokussierung auf die Nitrat-Richtlinie und die Gewässer, da sie die weitreichenden ökologischen Auswirkungen von Nährstoffüberschüssen und diesbezügliche Schutzverpflichtungen Deutschlands nicht in den Blick nehmen würden.

„Um den Gülletourismus zu verhindern, muss die Massentierhaltung in den Fokus der Gesetzgebung genommen und eingedämmt werden“, fordert Hajo Siemes.

„Es darf regional nur so viel Gülle anfallen, wie Felder vorhanden sind, auf denen die Gülle aufgetragen wird. Dabei müssen die Nitrat– und Stickstoffwerte auf ein erträgliches Maß reduziert werden.“

Seine Parteikollegin Bärbel Höhn, Vorsitzende des Umweltausschusses des Bundestages, hatte dazu in der Vergangenheit bereits einen sehr pragmatischen Lösungsansatz vorgelegt: Gülle-Überschüsse sollten einfach als Abfall behandelt werden.

Abfall dürfe bekanntlich nicht einfach auf die Felder gekippt werden, man müsse ihn vielmehr entsprechend behandeln und sachgerecht entsorgen.

Wie eine solche „Entsorgung“ aussehen könnte, bleibt dabei im Dunkeln.