In der Konstituierenden Sitzung des neuen Stadtrates wird nicht nur der Oberbürgermeister in sein Amt eingeführt, sondern auch für die fünf Jahre der kommenden Wahlperiode die Weichen für die Struktur der diversen Ausschüsse, Beiräte, Aufsichts- und Verwaltungsräte gestellt.
Dabei wird auch über die Besetzung dieser Gremien mit Vertretern aus den einzelnen Fraktionen entschieden, wozu diese vorab entsprechende Namenslisten eingereicht haben.
Bei allen Entscheidungen kommen mathematische Verfahren zur Anwendung, die vom Landsgesetzgeber vorgegeben sind, nämlich oft das Verfahren nach „Hare-Niemeyer“, meist jedoch das „D’Hondt-Verfahren“.
Das D’Hondt-Verfahren • Listenbildung als Chancen für die „Kleinen“?
Die D’Hondt-Rechenmethode, die auf den belgischen Juristen Victor D’Hondt zurückgeht, soll dafür sorgen, dass „Personalentscheidungen“ im Verhältnis zur Stärke der Fraktionen bzw. Gruppen im Rat getroffenen werden.
Doch wie genau das funktioniert – und welche Rolle dabei Listenverbindungen spielen – zeigt ein Blick in die Zahlen der nachstehenden Beispiele.
Das D’Hondt-Verfahren teilt dafür die Sitzzahlen jeder Fraktion nacheinander durch 1, 2, 3, 4 usw. und vergibt beispielsweise die Vorsitzplätze in den Ausschüssen an die höchsten errechneten Quotienten.
So wird eine proportionale Reihenfolge gebildet: Die stärkeren Fraktionen dürfen zuerst „zugreifen“.
In dieser Phase können so genannte Listenverbindungen eingegangen werden.
Üblicherweise bilden die Parteien, die sich nach der Kommunalwahl auf eine Kooperation im Rat verständigt haben, eine solche „Liste“ um dieser Kooperation schon früh politische Macht und Ansehen (aber auch finanzielle Vorteile für Einzelpersonen und damit auch für die Parteien) zu sichern.
In der anstehenden Ratssitzung dürften CDU und SPD eine solche Liste bilden.
Falls die übrigen Fraktionen und die Gruppe sich in dieser Phase zu einer Liste zusammenschließen sollten, könnten sie davon profitieren, weil sie als „gemeinsamer Block“ in den oberen Quotienten-Rängen auftauchen.
Formal betrachtet ist das D’Hondt-Verfahren ein zwar neutrales mathematisches Verfahren, aber auch ein Stück Macht-Arithmetik, die im Rathaus die kommunalpolitische Arbeit der kommenden Jahre mitbestimmt.
Politisch gesehen eröffnet es nämlich taktische Spielräume.
Listenverbindungen können helfen, das Kräfteverhältnis zugunsten bestimmter Lager zu verschieben.
- Sie stabilisieren große Fraktionen, wenn diese sich zusammenschließen.
- Sie ermöglichen kleineren Parteien, gemeinsam gegen Übermacht anzutreten.
- Sie können unliebsame Fraktionen ausschließen.
Den weiteren Betrachtungen liegen diese Daten und „Szenarien“ zugrunde.
Daten:
CDU 24 Sitze, SPD 20 Sitze, AfD 11 Sitze, Grüne 6 Sitze, LINKE 5 Sitze, FDP 2 Sitze, Fraktionslose 2 Sitze.
Szenarien:
Szenario A: keine Listenbildungen
Szenario B: nur eine Liste aus CDU und SPD (44 Sitze)
Szenario C: Liste 1 aus CDU und SPD (44 Sitze) • Liste 2 aus Grüne, LINKE und FDP (13 Sitze)
Szenario D: eine Liste aus CDU, SPD, Grüne, LINKE und FDP (57 Sitze)
Beispiel 1: Ehrenamtliche Vertretung des Oberbürgermeisters
In der Konstituierenden Ratssitzung werden u.a. Ehrenamtliche Vertreter gewählt, die den Oberbürgermeister (OB) in repräsentativen Aufgaben vertreten sollen, wenn dieser nicht zur Verfügung steht.
Die Vertretung des OB in seiner Eigenschaft als Verwaltungschef (Hauptverwaltungsbeamter) übernimmt einer der Dezernenten, aktuell Kämmerer Michael Heck, der in den letzten Monaten durch den Stadtrat bestimmt wurde.
Zu Beginn der auslaufenden Wahlperiode hatten sich die damalige Ampel-Mehrheit und die CDU als 1. Vertreterin des OB auf Josephine Gauselmann (SPD), als 2. Vertreterin auf Petra Heinen-Dauber (CDU) und als 3. Vertreter auf Hajo Siemes (B90/Die Grünen) verständigt.
Das wird sich für die kommende Wahlperiode ändern, weil sich durch die Kommunalwahl 2025 die Mehrheits- und damit die Machtverhältnisse im Rat geändert haben und sowohl Heinen-Dauber als auch Siemes nicht mehr dem neuen Rat angehören.
Tendenziell ist zu erkennen, dass sich CDU und SPD darauf verständigen werden, dass als 1. Vertreter des OB eine Person aus der CDU und als 2. Vertreterin die bisherige 1. Stellvertreterin Gauselmann in Betracht kommen.
Nicht auszuschließen ist, dass die AfD als drittstärkste Fraktion im Rat Anspruch auf eine (ertragreiche) OB-Vertretung Wert legt, was jedoch nur dann möglich sein wird, wenn es eine 4. OB-Vertretung gibt.
Ob es eine 3. oder gar 4. OB-Vertretung geben wird, entscheidet der Stadtrat.
Unter Zugrundelegung der Daten ergeben sich für die einzelnen Szenarien (A bis D) nach D’Hondt diese Bilder:
Das D’Hondt-Verfahren bleibt zwar mathematisch neutral – doch seine Konsequenzen sind politisch hoch relevant:
- Ohne Listenbildung (Szenario A) würde die AfD ab vier Stellvertretern einen Anspruch auf ein Repräsentationsamt erhalten.
- Mit einer breiten oder auch nur mittleren Listenbildung (Szenarien B–D) könnten die anderen Fraktionen dies rechnerisch verhindern, ohne ihre eigenen Proportionen wesentlich zu verändern.
- Für Grüne, LINKE und FDP zeigt sich zugleich: nur durch Bündelung ihrer Stimmen (Szenario C) bleibt die Chance, bei den Stellvertretungen beteiligt zu sein.
Fazit:
Listenverbindungen in der Konstituierenden Sitzung verändern nicht die Mehrheiten im Rat.
Aber sie entscheiden, wer den Oberbürgermeister vertreten darf und damit, wer symbolisch sichtbar bleibt – oder wer aus dem Stadtprotokoll verschwindet.
Aber auch, wem nach der Entschädigungsverordnung des Landes NRW (EntschVO) zusätzlich zur Aufwandsentschädigung als Ratsmitglied (z.Zt. ca. 6.900 € pro Jahr) zusätzlich ein Vielfaches davon zusteht.
So erhält der 1. Stellvertreter des OB zusätzlich das 3-Fache, also ca. 21.000 € und die 2. und 3. Stellvertreter jeweils zusätzlich das 1,5-Fache (ca. 10.500 €).
Darüber, wie hoch die zusätzliche Aufwandsentschädigung für eine 4. Vertretung betragen darf, ist aus der EntschVO NRW nicht zu entnehmen.
Um zu verhindern, dass die AfD einen Stellvertreterposten erhält, werden die übrigen Parteien darauf bedacht sein, dass es weiterhin maximal 3 Ehrenamtliche Stellvertreter des Oberbürgermeisters geben wird.
Beispiel 2: „Zugriffe“ auf Vorsitze von Ratsausschüssen
Derzeit sind im Mönchengladbacher Stadtrat 14 Ausschüsse eingerichtet.
Mindestens drei davon sind gesetzlich vorgeschrieben, nämlich der Hauptausschuss, der Finanzausschuss und der Jugendhilfeausschuss.
In Mönchengladbach ist der Hauptausschuss „personen-identisch“ mit dem Ausschuss für Anregungen und Beschwerden; diese beiden Ausschüsse werden grundsätzlich vom Oberbürgermeister geleitet; er ist also „gesetzt“.
Für die übrigen zwölf bestimmen die Ratsmitglieder unter Anwendung des D’Hondt-Verfahrens, in welcher Reihenfolge die Fraktionen „Zugriff“ auf die Ausschussvorsitze haben dürfen.
Gewählt werden diese Vorsitzenden und deren Stellvertreter dann in den konstituierenden Sitzung der jeweiligen Gremien.
Wie schon an anderer Stelle erwähnt, ist das D’Hondt-Verfahren selbst mathematisch neutral, setzt aber die vorhandenen Kräfteverhältnisse in eine proportionale Reihenfolge um.
Politisch aber kann eine Listenbildung strategische Vorteile bringen: Sie bündelt Stimmen, verschiebt die Zugriffspunkte und stärkt Allianzen.
Gerade bei der Verteilung von Ausschussvorsitzen – oft wichtige Schaltstellen im Rathaus – kann das über Einfluss und Sichtbarkeit entscheiden.
Wie im Beispiels 1 gezeigt, können Listenverbindungen nach dem D’Hondt-Verfahren den Ausschlag gebend sein.
Bei der Ausschussvergabe allerdings nicht in der Zahl der Posten, sondern nur in deren Reihenfolge.
CDU und SPD etwa würden gemeinsam nicht mehr Ausschussvorsitze erhalten, als sie getrennt bekämen, die Verteilung verschiebt sich nur innerhalb der Liste.
Durch die größere gemeinsame Stimmenzahl steht die Liste im Ranking ganz oben.
Sie darf also häufiger und früher zugreifen, wenn die Vorsitzenden der Ausschüsse verteilt werden.
Das kann entscheidend sein, um wichtige Ressorts wie Finanzen, Planung und Stadtentwicklung oder Sozialpolitik zuerst zu besetzen.
Hier die Prognosen zu den vier Szenarien:
Damit würden CDU und SPD jeweils vier Vorsitzposten sicher sein, die AfD erhielte zwei, die Grünen und die Linke jeweils einen.
Die „kleinere“ Liste würde Grünen und LINKE die beiden Ausschussvorsitze sichern, jedoch hinsichtlich der Reihe des „Zugriffs“ jeweils vor der AfD rangieren; die FDP geht voraussichtlich auch hier leer aus.
Die AfD würde erneut später „zugreifen“ können, Grüne und LINKE ebenfalls, gegenüber Szenario C außerdem noch später.
Fazit
Prognosen können Unsicherheiten enthalten und nur Tendenzen aufzeigen.
Die aktuell beiden fraktionslosen Ratsmitglieder von BSW und VOLT spielen nach derzeitigem Stand bei der Zugriffsdebatte keine Rolle, haben jedoch bei der Konstituierenden Sitzung – wie alle anderen Ratsmitglieder – Stimmrecht.
CDU und SPD dominieren mit je vier Vorsitzposten, die AfD erhält zwei.
Grüne und Linke können je auf einen Vorsitz zugreifen, während die FDP leer ausgeht.
Daran würde sich nach der aktuellen Prognose auch dann nichts ändern, wenn sich fraktionslose Ratsmitglieder mit einer Fraktion zusammentun und eine Fraktionsgemeinschaft bilden würden.
Änderungen könnten sich indes schon ergeben, würden sich vor oder während der Ratssitzung am
5. November 2025 innerhalb einzelner Ratsfraktionen zahlenmäßig personelle Veränderungen ergeben.
Dann müsste kurzfristig neu gerechnet werden.
Hinweis:
Die nächsten Teile von „TOUR D’HORIZON“ befassen sich u.a. mit diesen Themenfeldern:
- Besetzung der Aufsichtsgremien bei Gesellschaften mit kommunaler Beteiligung (und deren Vergütungen)
- Einkünfte aller Mandatsträger aus ihren „ehrenamtlichen“ Tätigkeiten
- „Abführen“ von Teilen der Einkünfte an die jeweilige Partei
- …











