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Die Gemeindeordnung NRW verpflichtet Initiativen von Bürgerbegehren, die potenziellen Unterzeichner darüber in Kenntnis zu setzen, welche Kosten die Umsetzung der Forderungen verursachen könnte.

Diese Verpflichtung ist insofern nachvollziehbar, als dass unterzeichnende Bürgerinnen und Bürger sich darüber im Klaren sein sollen, welche monetären Auswirkungen ihre Unterschrift auf den kommunalen Haushalt führen könnte.

Anders als in anderen Bundesländern müssen nicht die Initiativen die monetären Auswirkungen (= Kosten) ermitteln, sondern die jeweilige Kommunalverwaltung.

So geschehen auch beim Bürgerbegehren „Radentscheid Mönchengladbach“, bei dem Oberbürgermeister Felix Heinrichs (SPD) den Vertretungsberechtigten vorschreiben ließ, diese vorformulierte „Kostenschätzung“ wortgetreu in das Unterschriftenblatt aufzunehmen:

,,Kostenschätzung der Stadt Mönchengladbach gemäß § 26 Abs. 2 Satz 5 GO NRW:

Für die Umsetzung der 7 verkehrspolitischen Ziele würden der Stadt Mönchengladbach in den nächsten 8 Jahren geschätzte Kosten in Höhe von 393.300.000 Euro entstehen.

Diese Summe ergibt sich aus den geschätzten Einzelposten

  • Baukosten rd. 340.890.000 Euro,
  • Planungskosten rd. 34.089.000 Euro,
  • Personalkosten (inkl. Sach- und Gemeinkosten für Büroarbeitsplätze) rd. 17.072.000 Euro,
  • Unterhaltungskosten rd. 1.249.000 Euro.“ (Zitat Ende)

Auf welcher Basis diese Kostenschätzung vorgenommen wurde, hat die Initiative nicht erfahren.

Auch gab es seitens der Kommune keine Informationen zu Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten.

Dies veranlasste die Initiative, auf dem Unterschriftenblatt darauf hinzuweisen, dass Investitionen in Radinfrastruktur zwischen 70 und 100% gefördert werden könnten.

Vor diesen Hintergründen erscheint es fraglich, ob Bürgerinnen und Bürger sich durch die exorbitant erscheinende und nicht transparente Kostenschätzung davon abhalten lassen, die sieben Ziele des Radentscheides durch ihre Unterschrift für die Initiative zu unterstützen.

Sollte es das Ansinnen von Teilen der Verwaltungsspitze gewesen sein, durch  diesen dreistelligen Millionenbetrag Bürger zu schocken und von einer Unterstützung des Bürgerbegehrens abzuhalten, dürfte das nur schwerlich gelingen.

Wie sagte Susanne Jud, eine der beiden Vertretungsberechtigten des Bürgerbegehrens, anlässlich der Auftaktveranstaltung zur Unterschriftensammlung „Radentscheid“ am 22.06.2022: „Ich wusste gar nicht, dass die Mönchengladbacher Radverkehrsanlagen so viel Wert sein sollen.“

Wie viel „Radverkehrsanlagen“ tatsächlich wert sind, wird wohl niemand in dieser Stadt wissen, wohl aber welchen Wert das Straßennetz in Gänze hat.

Dieses wurde – wie das gesamte „Vermögen“ der Stadt – zum Stichtag 01.01.2009 im Rahmen der Einführung der „Doppelten Buchführung“ bei NRW-Kommunen in einer Eröffnungsbilanz ermittelt und dokumentiert.

Dass diese Eröffnungsbilanz erst im März 2013 vom Stadtrat beschlossen werden konnte, lag u.a. daran, dass – wie in anderen NRW-Kommunen – die notwendigen Erfahrungen mit dem neuen Buchführungssystem und das erforderliche Personal fehlten.

Festgestellt wurde, dass die Straßen der Stadt Mönchengladbach zum 01.01.2009 einen Buchwert von rund 760.000.000 EURO hatten, wobei ca. 95% dieses Wertes auf das „reine“ Straßennetz entfielen.

Seit 2009 ist der (Vermögens)wert der Mönchengladbacher Straßen um rund 290.000.000 EURO (2021) auf ca. 470.000.000 EURO gesunken.

Dies ergab eine BZMG-Analyse der jährlichen Jahresabschlüsse (straßennetzbezogen), die regelmäßig vom Stadtrat festgestellt werden.

Während die Überträge bei den meisten Jahresabschlüssen nicht „auffällig“ waren, erscheint es sinnvoll, die Überträge 2011/2012 und 2012/2013 auf Plausibilität hin zu überprüfen, weil diese Besonderheiten Einfluss auf die Buchwerte der Folgejahre (bis 2021) haben könnten.

Wenn schon nicht zu erwarten ist, dass die Kostenschätzung von 393.300.000 EURO Bürgerinnen und Bürger „in Schock“ versetzen würde, setzt die Verwaltungsspitze mit dieser Kostenschätzung scheinbar auf entsprechend ablehnende Reaktionen aus den Fraktionen.

Die SPD-Fraktion zeigt noch keine Reaktion auf die Tatsache, dass die Unterschriftensammlung für den Radentscheid im Gange ist.

Die SPD-Unterbezirksvorsitzende Gylistan Yüksel erklärte im September 2021 auf dem ADFC-Forum Stadtverkehr #6 in der City-Kirche, dass alle sieben Forderungen der Initiative „Radentscheid Mönchengladbach“ zu unterstreichen seien.

Yüksel: „Ich würde mir wünschen, dass wir das gemeinsam auch angehen“.

Bei B90/Die Grünen scheint man „gespalten“ zu sein.

Einige haben schon ihre Unterstützung per Unterschrift gezeigt, andere helfen (anonym) bei der Sammelaktion und wieder andere scheinen sich bei diesem „grünen Thema“ eher um den Wegfall von Parkplätzen zu sorgen und scheuen sich auch nicht, dies öffentlich kund zu tun.

Deutlicher positioniert sich da der neue FDP-Fraktionsvorsitzende Achim Wyen, der im BZMG-Interview die Ansinnen des Bürgerbegehrens als „radikale Positionierungen“ bezeichnet, womit er ausdrücklich nicht die Akteure des „Radentscheides“ und deren Unterstützer meinte.

Dass er in diesem Kontext die Fachverwaltung als „radfahrerfreundlich“ bezeichnet, hat – nicht unerwartet – in der Mönchengladbacher Radfahrer-Community kein positives Echo erzeugt.

Es wird wohl noch einige Zeit ins Land gehen, bis die Initiative dem Oberbürgermeister die gesammelten Unterschriften übergeben und – abhängig vom Auszählungsergebnis – die Ratsmitglieder darüber entscheiden können, ob sie dem Bürgerbegehren stattgeben und damit die Verwaltung beauftragt wird, die sieben Forderungen umzusetzen.

Oder ob sie (die Ratsmitglieder) es auf einen Bürgerentscheid ankommen lassen wollen.

Vielleicht liegen bis dahin dann auch valide Buchwerte für das Straßennetz vor.

Möglicherweise wollen Ratsmitglieder spätestens dann auch wissen, wie die Kostenschätzung in Höhe von 393.000.000 EURO zustande kam, wie eine Finanzierung (einschließlich Fördermittel) aussehen kann und welche Wertsteigerung die Straßen durch Maßnahmen aus dem Radentscheid erfahren könnten.