Seit März 2020 existiert bei den Mönchengladbacher Grünen ein Arbeitskreis „Wirtschaft, Digitalisierung und Arbeit“
Die Inhalte haben die Initiatoren und Leiter des Arbeitskreises, Thomas Schmieder und Marcel Klotz, mit ökonomisches und ökologisches Wirtschaften, sinnvolle Digitalisierung und lohnende Arbeit, überschrieben.
In diesem Kontext fand am 08.06.2020 unter Moderation von Marcel Klotz ein so genanntes „Webinar“ (Wortschöpfung aus Web & Seminar) statt, in dem es um die wirtschaftliche Situation in Mönchengladbach, die Rolle der Wirtschaftsförderung und die Zukunftsaussichten vor dem Hintergrund der schnell fortschreitenden Digitalisierung ging.
Als Referenten hatten die Grünen die Mitglieder der Vorstandes des vor drei Jahren gegründeten Vereins „nextMG.eV.“, Susanne Feldges (stellv. Vorsitzende) und Mark Nierwetberg (Mitbegründer des Vereins), eingeladen.
nextMG will die Digitalisierung am Wirtschaftsstandort Mönchengladbach fördern, Aktivitäten rund um die digitale Transformation unterstützen und die Stadt für Gründer attraktiver machen.
Der Verein hat aktuell 71 Mitglieder bei denen es sich um 16 persönliche Mitgliedschaften handelt. Weitere 12 Mitglieder sind öffentlichen Institutionen zuzuordnen (Stadt Mönchengladbach, WFMG, MGMG, Banken, IHK u.ö.).
Die übrigen Mitglieder zählen überwiegend zu den ortsansässigen Firmen, die vereinzelt auch Gesellschafter der WFMG sind.
Die Zielsetzung des Vereins erläuterte Susanne Feldges zu Beginn des Webinars vertiefend und stellt fest, dass in Mönchengladbach ein „Gründerklima“ geschaffen werden müsse.
Nachhol- und Unterstützungsbedarf sieht Feldges besonders bei örtlichen Unternehmen der so genannten „Old Economy“, wie die der Textilwirtschaft und des Maschinenbaues.
Hier mangele es an den notwenigen Fachkräften, die entweder nicht ausgebildet worden oder abgewandert seien.
Seiner Analyse stellte Mark Nierwetberg die Frage voran: „Was passiert am Standort Mönchengladbach?“
Zur Beantwortung traf er im Kern 3 „Trend-Feststellungen“:
- Die Stadt muss sich auf die Zukunft ausrichten: Die Wirtschaft 4.0 kommt mit neuen Anforderungen.
- Die alten Quellen des Wachstums versiegen! Flächenverbrauch!
- Die aktuelle Entwicklung frisst Wertschöpfung und entwertet den Faktor Arbeit.
Zur Einordnung von „Wirtschaft 4.0“ kann am Beispiel „Maschinenbau in Mönchengladbach“ ein kurzer historischer Rückblick ganz hilfreich sein.
Schon sieben Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg setzte die 3. Industrielle Revolution ein.
Numerisch gesteuerte Maschinen bestimmten mehr und mehr die Produktionsabläufe in der verarbeitenden Wirtschaft und führten insbesondere zum Wegfall von „sekundären“ Tätigkeiten und dementsprechenden Arbeitsplätzen.
Profitiert davon haben damals namhafte Maschinenbauunternehmen in Mönchengladbach und Rheydt, die in ihren Geschäftsfeldern zu den Weltmarktführern gezählt wurden, wie u.a. Scharmann, Froriep, Monforts, Schlafhorst, Mannesmann Meer.
In Mönchengladbach verblieben sind – teilweise mit umfangreichen Fusionen und Aufkäufe durch multinationale Konzerne) – faktisch nur noch Scharmann (heute: Dörries-Scharmann) und Mannesmann Meer (heute: SMS Meer) sowie die inhabergeführten Trütschler und Scheidt & Bachmann.
Durch viele Ausgründungen entstanden seinerzeit spezialisierte, in ihren angestammten Geschäftsfeldern innovative, oft unternehmergeführte KuM-Unternehmen, die fast sämtlich aus dem Mönchengladbacher Markt verschwunden sind, auch weil sie am Anfang u.a. der 1970er Jahre dem CIM zu Opfer fielen.
Was heute mit „Wirtschaft 4.0“ bezeichnet wird, zeichnete sich schon damals ab, ohne dass die Mönchengladbacher Wirtschaftsförderung wirksame Versuche unternahm, Firmen, wie Schlafhorst in der Stadt zu halten. Schlafhost ist als Teil der Saurer-Gruppe seit Anfang der 2010er Jahre vollständig in Übach-Palenberg angesiedelt. Etwa die Hälfte der Mitarbeiter lebt in Mönchengladbach.
Nierwetberg lenkt in seinen Ausführungen den Blick auf die Tatsache, dass Maschinen-Produkte schon heute „datenbetrieben“ entwickelt werden müssen und nennt dazu Beispiele.
Dies habe massive Auswirkungen auch auf den Standort Mönchengladbach, der sich mit Blick auf (digitale) Bildung entsprechend ausrichten müsse.
Deutlich wird Nierwetberg beim Thema Ansiedlung von Logistikern mit ihrem enormen Flächenverbrauch.
Dabei geht es in seiner Analyse nicht so sehr um die Tatsache, dass die Ressource „Fläche“ endlich ist, sondern um die Frage, wie sich dabei die Wertschöpfung entwickelt hat.
„Wertschöpfung“ wird dabei synonym mit „verfügbare Einkommen“ gleichgesetzt.
Dabei entwickele sich Mönchengladbach im Vergleich zu anderen Kommunen schwächer, was daran deutlich werde, dass Mönchengladbach im NRW-Vergleich von Rang 243 (2012) auf Rang 305 (von 396) abgerutscht sei.
In nachvollziehbaren Zahlen für die Wertschöpfung pro Arbeitsstunde ausgedrückt erkennt man, dass nicht die reine Zahl der „neuen“ Arbeitsplätze (Anstieg bei sog. „Hilfskräften“ durch Amazon im Jahr 2019 um 40% auf ca. 4.700), sondern die damit einhergehende Kaufkraftveränderung.
Ausdrücklich weist Nierwetberg darauf hin, dass etwa 30% der Beschäftigten in Mönchengladbach, nämlich ca. 30.000 Menschen, im unteren Segment der „Wertschöpfung pro Stunde“ angesiedelt sind, zu dem neben den in der Logistik Beschäftigten auch die des Gastgewerbes, von Groß- und Einzelhandel und der Zeitarbeit zu zählen sind.
Eine spezifische Veränderung der Arbeitslosenquote im Sinne eines Aufhol-Effektes durch die Ansiedlung der Logistiker sei nicht zu erkennen. Hier folge die Entwicklung in Mönchengladbach dem Landestrend.
Nierwetberg stellt in seinem Fazit fest, dass Mönchengladbach einen standortspezifischen Strukturwandel mit digitaler Transformation gestalten müsse, auch um Teufelskreise zu durchbrechen und Ausstrahlungseffekte auf die kommunale Wirtschaft zu verhindern.
Eine Idee sei die Bildung einer so genannten „Gründerfabrik“.
Der Fokus müsse sich von der Ansiedlung von Unternehmen in Gewerbegebieten und Entwicklung neuer Büroflächen in Richtung Stärkung und Förderung regionaler Produkte und Leistungen sowie die Vernetzung von Unternehmen mit der Hochschule verändern.
Hinzu käme die Notwendigkeit, Arbeitnehmer zu qualifizieren bzw. entsprechende „Talente“ zu fördern, um die Wertschöpfung zu verbessern.
Dazu müssten bei der Bildung die Bereiche Mathematik, Ingenieurwesen, Naturwissenschaft und Technik intensiviert werden.
Insgesamt betont Nierwetberg: „Wir brauchen bessere Bildung“. Bildung sei einer der wichtigsten Wirtschafts- und Standortfaktoren.
Die Fülle der Informationen, die in diesem Webinar „transportiert“ wurde, war erheblich, wie auch Moderator Marcel Klotz feststellte.
Auch technische Probleme bei einigen Teilnehmern hinderten diese daran, Nachfragen zu stellen bzw. sich an der Diskussion zu beteiligen.
Daher hielten sich die Reaktionen der Teilnehmer – wie bei einem „Präsenz“-Seminar – sehr in Grenzen, so dass Klotz als „Eisbrecher“ fungieren musste.
Nicht uninteressant waren dabei auch die „Vertiefungen“ Susanne Feldges und Mark Nierwetberg und durchaus nachhörenswert sind.
Ein Zuhörer aus dem virtuellen Auditorium fragte, ob Nierwetberg die Hoffnung habe, dass die städtische Wirtschaftsförderung seinen Aufruf offensiv aufgreife und sich von der reinen Grundstücksvermarktung verabschiede und sich auf das Abstellen der von ihm aufgezeigten Schwächen konzentriert.
Nierwetberg antwortete, als grundsätzlich optimistischer Menschen habe er durchaus diese Hoffnung, teile jedoch die in der Frage mitklingende Kritik.
In der Tat seien die Mönchengladbacher Wirtschaftsförderer bislang viel zu immobilien- und flächenfixiert gewesen.
Weiterhin wurde im Verlauf der Diskussion u.a. thematisiert: „Digitalisierung & Ökobilanz“, das kommerzielle Netzwerk „MG ist IN“ und andere Mönchengladbacher Netzwerke.
Ein weiterer Teilnehmer fragte, ob der Eindruck richtig sei, dass der Verein NextMG vielfach originäre Aufgaben der Mönchengladbacher Wirtschaftsförderung erledige.
Bei der Beantwortung taten sich die beiden Vereinsvertreter etwas schwer und erklärten, dass man als Verein viel freier und offener kommunizieren könne.
Die Leistung des Vereins sei eine „pro bono“-Beratung (freiwillig geleistete, professionelle Arbeit ohne Bezahlung im Sinne des Gemeinwohls) für den „Konzern Stadt“.
Als positiv werte man die Tatsache, dass der Verein „gehört“ werde. Das erwarte man auch als Ehrenamtler mindestens.
Thema und Inhalt des Webinars hätte sicherlich eine größere Zahl an Diskutanten verdient gehabt.
Analyse, Schlussfolgerungen und Vorschläge zu diesem Zukunftsthema erscheinen in sich schlüssig, bedürfen jedoch sicherlich einer intensiven, vor allem aber differenzierten Nachbereitung.
So müssten im Bereich „Bildung“ Konzepte entwickelt werden, die nicht nur potenzielle Gründer (meist mit akademischen Graden) berücksichtigen, sondern auch die Schüler und Jugendliche, denen dieser Weg – aus welchen Gründen auch immer – kurz und mittelfristig verschlossen bleiben.
Fest steht, dass die Handlungsräume und damit die Einflüsse der Kommune auf die Qualität der Schulabschlüsse gegen Null tendieren.
Kommunen sind ausschließlich für die Schaffung der notwendigen Infrastruktur zuständig.
Weder auf die Lehrinhalten noch die notwendige Auswahl und Qualifizierung der Lehrer haben sie Einfluss.
Auch müssten kurz- und mittelfristig mindestens die ca. 30.000 Menschen in Mönchengladbach (ca. 1/3 der Beschäftigten) berücksichtigt werden, die in der Analyse mit „geringer Wertschöpfung“ eingeordnet werden und daher bei der Wirtschaftsförderung kaum eine Rolle spielen (werden).
Auch vor diesem Hintergrund wird der Slogan „wachsende Stadt“ mehr und mehr zur Farce.
Zumal keiner der diese Formulierung gerne benutzenden Mönchengaldbacher Politiker und Führungskräfte der Verwaltung diesen unbestimmten Begriff bisher schlüssig erklären konnte.
Bedeutet „wachsende Stadt“ mehr „besser wertschöpfendere“ Menschen, „wachsende“ Zahl von (hochpreisigen) Wohnungen, „wachsende“ Zahl von Unternehmensansiedlungen, „wachsende“ Zahl von „StartUps“, „wachsende“ Zahl von Bürobauten … und was bedeutet das Kontext von „Wirtschaft 4.0“?
Und über eins sollten sich alle im Klaren sein: Auch wenn viele vom „Konzern Stadt“ reden (obwohl ALLE Beteiligungsgesellschaften nicht anderes sind, als aus der Kommunalverwaltung ausgegliederte Aufgabenbereiche), ist eine Kommune keineswegs ein Konzern, sondern ein dem Bürger dienendes Gemeinwesen, das – nicht wie ein Wirtschafskonzern – „Produkte“ oder Leistungen, die nicht rentabel erscheinen, „aus dem Portfolio“ streichen kann.