Barrierefreiheit ist ein zentrales Element einer inklusiven Gesellschaft.
Dennoch stoßen Menschen mit Behinderungen im Alltag häufig auf Hindernisse – in Geschäften, im Internet, bei digitalen Geräten oder im öffentlichen Raum. Um diese Hürden abzubauen, hat der deutsche Gesetzgeber das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) verabschiedet.
Das Gesetz, das im Juni 2021 in Kraft trat, setzt die europäische Richtlinie über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen (European Accessibility Act, EAA) in nationales Recht um.
Ein großer Teil der Regelungen wird ab 28. Juni 2025 verbindlich.
Doch was genau regelt das BFSG?
Wer ist betroffen?
Was bedeutet das für Verbraucher und Unternehmen?
Und reicht das Gesetz aus, um Barrierefreiheit in Deutschland wirklich voranzubringen?
Dieser Beitrag beantwortet die wichtigsten Fragen.
Was ist das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz?
Das BFSG legt fest, dass bestimmte Produkte und Dienstleistungen künftig barrierefrei gestaltet sein müssen, um allen Menschen – insbesondere Menschen mit Behinderungen – den Zugang zu ermöglichen.
Es handelt sich um ein wirtschaftsrechtliches Gesetz, das vor allem private Anbieter in die Pflicht nimmt.
Damit ergänzt es bestehende Regelungen zur Barrierefreiheit, die bisher primär für den öffentlichen Sektor galten.
Ziele des Gesetzes:
- Stärkung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben.
- Harmonisierung von Barrierefreiheitsanforderungen innerhalb der EU.
- Förderung von Innovation und Wettbewerb durch einheitliche Standards.
Für wen gilt das BFSG?
Das Gesetz richtet sich insbesondere an Hersteller, Händler und Dienstleister von bestimmten Produkten und Dienstleistungen. Es betrifft sowohl große Unternehmen als auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU), wobei für Letztere teilweise Ausnahmen und Erleichterungen gelten.
Betroffene Produkte:
- Computer, Tablets, Smartphones
- Geldautomaten, Ticketautomaten, Check-in-Automaten
- Zahlungsterminals
- E-Book-Reader
Betroffene Dienstleistungen:
- E-Commerce (Online-Shops)
- Banking-Dienstleistungen
- Personenbeförderung (z.B. Buchung und Reiseinformationen im Fernverkehr)
- Telekommunikationsdienste
- E-Books
Wichtig: Für Kleinstunternehmen (weniger als 10 Mitarbeiter und unter 2 Mio. € Umsatz) gelten bei Dienstleistungen teilweise Ausnahmen.
Was sind die zentralen Anforderungen?
Die Barrierefreiheit nach BFSG bedeutet, dass Produkte und Dienstleistungen so gestaltet sein müssen, dass sie für Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen nutzbar sind – ohne zusätzliche Hilfspersonen und möglichst ohne Anpassung.
Zu den konkreten Anforderungen gehören:
- Verständliche und zugängliche Informationen (z.B. für blinde und sehbehinderte Menschen)
- Bedienbarkeit über assistive Technologien (z.B. Screenreader)
- Visuelle, akustische und taktile Rückmeldungen bei Geräten
- Barrierefreie Websites und mobile Anwendungen gemäß den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG)
Ab wann gilt das Gesetz?
- Inkrafttreten: 28. Juni 2021
- Verbindliche Anwendung: Ab 28. Juni 2025 müssen die betroffenen Produkte und Dienstleistungen den Barrierefreiheitsanforderungen entsprechen.
- Übergangsfristen: Bereits vor dem Stichtag in Verkehr gebrachte Produkte dürfen weiterhin verkauft werden.
Für Dienstleistungen gelten keine Bestandsschutzregelungen – sie müssen zum Stichtag barrierefrei sein.
Welche Sanktionen drohen bei Verstößen?
Das BFSG sieht Überwachungs- und Durchsetzungsmechanismen vor.
Bei Verstößen können Bußgelder verhängt werden – bis zu 100.000 Euro pro Fall. Verbraucher haben zudem die Möglichkeit, Barrieren zu melden.
Weiterhin drohen wettbewerbsrechtliche Abmahnungen, Einstweilige Verfügungen und Unterlassungsklagen durch Mitbewerber und klagebefugte Verbände.
Welche Kritik gibt es am BFSG?
Obwohl das Gesetz als wichtiger Fortschritt gilt, gibt es auch Kritik:
- Begrenzter Anwendungsbereich
- Viele Lebensbereiche bleiben weiterhin unreguliert, z.B. der stationäre Einzelhandel oder Gaststätten.
- Auch Wohnraum- und viele Freizeitangebote sind nicht erfasst.
- Schutz kleiner Unternehmen?
- Die Ausnahme für Kleinstunternehmen bei Dienstleistungen wird von Interessen&shx;vertretungen von Menschen mit Behinderungen kritisch gesehen, da dies wichtige Alltagsbereiche (wie kleine Online-Shops) ausnehmen könnte.
- Keine umfassenden Klagerechte
- Anders als im Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) gibt es im BFSG keine unmittelbare Möglichkeit für Betroffene, die Einhaltung gerichtlich einzufordern.
Welche Chancen bietet das BFSG?
Trotz der Schwächen bringt das Gesetz wichtige Impulse:
- Innovation:
Barrierefreiheit kann zur Triebfeder für nutzerfreundliche und zukunftsorientierte Entwicklungen werden. - Wirtschaftsvorteile:
Barrierefreie Angebote sprechen eine größere Zielgruppe an – nicht nur Menschen mit Behinderungen, sondern auch ältere Menschen und Personen mit temporären Einschränkungen. - Europaweite Vereinheitlichung:
Der grenzüberschreitende Handel wird vereinfacht, da ähnliche Anforderungen in allen EU-Staaten gelten.
Zwischenfazit
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz ist ein wichtiger Schritt in Richtung mehr Inklusion und Teilhabe.
Es verpflichtet erstmals weite Teile der Privatwirtschaft zu konkreten Maßnahmen, um Barrieren abzubauen.
Dennoch bleibt das Gesetz in vielen Bereichen hinter den Erwartungen zurück.
Ein wirklich umfassender Zugang zu allen Lebensbereichen ist weiterhin nicht gesetzlich garantiert.
Anwaltliche Unterstützung
Für eine rechtssichere Einordnung, ob das Geschäftsmodell von Wirtschaftsakteuren (Hersteller, Importeure, Händler, Dienstleister), die digitale Produkte oder Dienstleistungen (z. B. Websites, Apps, Bankdienste, Ticketing-Systeme, Selbstbedienungsterminals) anbieten, in den Anwendungsbereich des BFSG fällt bzw. ob und wie das Gesetz umgesetzt werden muss, ist vielfach anwaltliche Hilfe erforderlich.
Eine solche Unterstützung ist auch dann sinnvoll, wenn eine Abmahnung wegen des Verstoßes gegen das BFSG ausgesprochen bzw. ein Bußgeldverfahren eingeleitet wird.
Auch die Begutachtung zum Vorgehen der Konkurrenz gehört zum Leistungsspektrum einer spezialisierten Anwaltskanzlei, um bei einem rechtlichen Vorgehen gegen Verletzen behilflich zu sein.
Über den Autor:

Rechtsanwalt Daniel Loschelder ist Fachanwalt für IT-Recht und Gewerblichen Rechtsschutz und vertritt mit seine Kanzlei Unternehmen, Kreative und andere Wertschöpfer aus den unterschiedlichsten Branchen in den Bereichen Markenrecht, Wettbewerbsrecht, IT-Recht und Medienrecht.
