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Vortrag – Grundzüge der politischen Partizipation

Zielgruppe: Teilnehmer eines Seminars, die auf die Bewertung von Nahverkehrsplänen vorbereitet werden sollen

Sprechtext – Bernhard Wilms

Seit Beginn meines ehrenamtlichen Engagements im Jahr 2008 habe ich mich mit den Belangen von Menschen mit Beeinträchtigungen auseinandergesetzt und traf im Kreisverband Mönchengladbach des VdK auf Mitstreiter, die mehr wollten, als sich in geselligen Runden bei Kaffee und Kuchen zusammenzusetzen und zu feiern.

Ich hatte und habe bis heute das Privileg, keine körperlichen Beeinträchtigungen zu haben.

Anders, als der heutige Leiter der BSK-Kontaktstelle, Albert Sturm, der sich nach mehreren Schlaganfällen mit aufopfernder Unterstützung seiner Frau Karin auf ein Leben mit und im Rollstuhl eingerichtet hatte.

Seinem Motto entsprechend „Ich bin ein gesunder Geist in einem kranken Körper“ war er der Initiator eines Projektes „NULL Barrieren in Mönchengladbach“ das uns gemeinsam mit weiteren engagierten Mitgliedern in die politischen „Sphären“ der Mönchengladbacher Kommunalpolitik vordringen lies.

Mit viel zeitlichem Aufwand und oft nur mäßigem Erfolg, wie sich später herausstellen sollte.

Nach Beendigung unserer aller Vorstandstätigkeit im VdK schlossen wir uns dem BSK an, um die poltische Einflussnahme im Sinne von Menschen mit Beeinträchtigungen in Mönchengladbach fortzusetzen.

 

 

 

Zu Beginn meiner Ausführungen zu den Grundzügen der politischen Partizipation will ich ein Spotlight auf den zweiten Vortrag mit der Überschrift „Politische Partizipation in der Praxis“ aus dem Jahr 2016 setzen.

In einer Sonderausgabe der damals an alle Mitglieder im Vdk-Kreisverband versandten Mitglieder hatten wir unter dem Titel „Chronologie der Verhinderung von gesellschaftlicher und politischer Partizipation für Menschen mit Behinderungen in Mönchengladbach“ darüber festgehalten, wie eine politische Partizipation dadurch verhindert wurden, dass beispielsweise Rollstuhlfahrer zunächst gar nicht in die beiden Ratssäle der Stadt gelangen konnten, mit welchen Mühen das dann doch für einen Ratssaal erreicht werden konnte und was die Politiker über politische Teilhabe dachten.

Der damalige SPD-Fraktionsvorsitzende hatte als Teil der seinerzeitigen GroKo auf einen Antrag der Grünen-Fraktion bezüglich Barrierefreiheit reagiert, die unser damaliges Engagement in Sachen „Politischer Partizipation“ als Behindertenvertretung aufgegriffen hatte.

Zitat à „Angelegenheit Inklusion …“

Dieser „Sozialdemokrat“ ist seit 2020 Oberbürgermeister der Stadt Mönchengladbach und hat seine Grundposition offensichtlich nicht verlassen, wie wir später noch erfahren werden.

Soweit eine kurze Vorausschau.

 

 

Obwohl ist die UN-Behindertenkonvention – also die UN-BRK – als bekannt vorausgesetzt betrachten kann, sei hier noch einmal in zwei Punkten mit Bezug aus unsere Thema „Partizipation“ kurz drauf eingegangen werden.

Symptomatisch für die Bunderepublik ist, dass man „Partizipation“ in erster Linie mit der Teilnahme an Wahlen und der Mitarbeit in Parteien in Verbindung bringt.

Partizipation im täglichen Leben spielt an dieser Stelle keine Rolle.

 

 

Die Ur-Fassung der UN-BRK in englischer Sprache wurde in einer so genannten „abgestimmten Übersetzung“ zwischen Deutschland, Lichtenstein und der Schweiz veröffentlicht.

Die deutsche Übersetzung fand ohne Beteiligungen von Menschen mit Behinderungen und deren Verbände statt, was bei vielen von diesen deutliche Kritik hervorrief..

Alle Bemühungen von Seiten der Behindertenorganisationen in den vier beteiligten Staaten, wenigstens die gröbsten Fehler zu korrigieren, scheiterten.

Ein Zusammenschluss aus fast 80 NGOs, wozu auch der BSK gehört, veröffentlichte 2018 in der mittlerweile 3. Fassung eine so genannte „Schattenübersetzung“ in der die Fehler markiert und korrigiert wurden.

Federführend war dabei das Berliner „Netzwerk Artikel 3“, ein Verein für Menschenrechte und Gleichstellung Behinderter (www.netzwerk-artikel-3.de).

 

 

Das Thema „Politische Partizipation“ auf Grundlage der UN-Behindertenkonvention beschäftigt seit Jahren die Szene der Behindertenverbänden und der übrigen Interessenvertretungen und hier auch die Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderungen und organischen Erkrankungen und ihren Angehörigen in Nordrhein-Westfale, kurz mit „LAG Selbsthilfe“ bezeichnet.

Mit Unterstützung des Landes NRW legte sie im Jahr 2012 eine Projekt auf, um dieses Thema für das Land NRW näher zu untersuchen.

Wissenschaftlich begleitet wurde das Projekt von der Universität Siegen und hier vom Zentrum für Planung und Evaluation sozialer Dienste ZPE.

Der fast 340 Seiten umfassende Abschlussbericht wurde im März 2016 den etwa 200 Teilnehmern aus den unterschiedlichsten Organisationen, aus dem Landtag, aus diversen Parteien und Kommunen vorgestellt.

Eine moderierte Gesprächsrunde versuchte am Ende der Veranstaltung, Schlussfolgerungen für den weiteren Umgang mit diesem Thema zu ziehen, mit dem Ziel, der politischen Partizipation in den Kommunen einen breiteren Raum einzuräumen.

Wie wir heute wissen, mit teilweise mäßigen Erfolgen.

Getreu dem Motto: „Ein Projekt endet mit der Empfehlung für ein weiteres Projekt“ fand in Zeit von 2016 bis 2019 ein Folgeprojekt mit dem Titel „Mehr Partizipation wagen“, der sehr an einen Ausspruch von Willy Brandt erinnerte.

Darin fanden 17 Workshops statt, in denen „vor Ort“ die „Politische Partizipation“ ebenfalls im Mittelpunkt stand.

Beide Projekte lieferten hinreichend Material, um in den Vortrag über die Grundzüge der Politischen Partizipation – also das Thema diese Vortrages – einfließen lassen zu können.

Bei alledem ist zu berücksichtigen, dass die LAG unter dem Begriff „Interessenvertretung“ vornehmlich „institutionalisierte“ zu verstehen scheint, also solche Art von Vertretungen, die in irgendeiner Weise in Gesetzen, Richtlinien o.ä. erwähnt werden und diese auch primär im Fokus hat.

 

 

Ungeachtet dessen:

Soll politische Partizipation gelingen, bedarf es drei Parametern:

  1. Dürfen
  2. Wollen
  3. Machen

worauf anschließend noch näher eingegangen wird.

 

 

 

Zunächst jedoch einige wichtige Aspekten zur „Partizipation“:

Der Begriff Partizipation

  • … geht auf das lateinische Wort „particeps“ (= „teilnehmend“) zurück und steht für Beteiligung, Teilhabe, Mitwirkung oder Einbeziehung im weitesten Sinne
  • … ist ein wichtiges Gestaltungsprinzip in einer pluralistischen Gesellschaft.
  • … bedeutet, dass sich Menschen (Bevölkerungsgruppen, Organisationen, Verbände, Parteien) aktiv und maßgeblich an allen Entscheidungen beteiligen, die ihr Leben beeinflussen.
  • … bedeutet außerdem, dass die Menschen ihre Erfahrungen und Wertvorstellungen in die gemeinsame Arbeit einbringen.
  • … ist mehr als freundliches Zuhören und großzügiges Aufnehmen von Wünschen.
  • … stellt die Frage nach der Verteilung von Entscheidungsbefugnissen und damit die Frage nach der Machtverteilung.
  • … ist keine „Spielwiese“, sondern meint das Recht, an realen Entscheidungen beteiligt zu werden und sich zu beteiligen
  • … bedeutet mitwirken, mitgestalten, mitbestimmen zu können und wollen

 

 

 

  1. Effektivität in der politische Partizipation erfordert, dass sie überhaupt ermöglicht wird … und zwar verbindlich, was nur über Gesetze, ähnliche Regelungen und Vereinbarungen geschehen kann.
  2. Das beste Ermöglichen ist „ineffizient“, wenn es niemanden gibt, der die Motivation hat politische Partizipation zu nutzen, die Fähigkeit besitzt und über die Mittel verfügt, sie auch zielgerichtet einzusetzen.
  3. politische Partizipation ist sinnlos, wenn nach alledem nicht „gemacht“ wird.

Eine Voraussetzung für das „Machen“ ist die Bereitschaft der „Mächtigen“ in der kommunalen Verwaltung und der kommunalen Politik die verbindlichen Regelungen auch umsetzen zu wollen.

Ansonsten müssen die Interessenvertretungen insistieren und dabei oft einen „langen Atem“ haben.

Um im Bild zu bleiben:

Politische Partizipation ist kein Sprint, sondern ein Dauerlauf, um nicht zu Sagen ein Marathon.

 

 

 

Partizipative Struktur bedeutet…

…dass ein gesetzlicher und organisatorischer Rahmen geschaffen wird, mit dem Ziel, politische Partizipation im kommunalen Kontext zu ermöglichen.

Zur Struktur gehören etwa die verschiedenen Beauftragten, Gremien und Gruppen der Interessenvertretung sowie Satzungen.

Auch Unterstützungsleistungen (finanziell, personell, räumlich) und Nachteilsausgleiche, die politische Partizipation ermöglichen und Barrierefreiheit schaffen, sind Teil einer partizipativen Struktur.

 

Gestatten Sie mir an dieser Stelle eine grundsätzlich Zwischenbemerkung zu den „Beauftragten“.

Nicht nur in Verwaltungen, sondern auch in der so genannten „freien Wirtschaft“ werden seit Jahrzehnten gerne „Beauftragten-Stellen“ eingerichtet.

Diese haben die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass bestimmte Regeln und Funktionen organisationsweit eingehalten werden.

Diese Beauftragten nehmen in der Regel Stabsfunktionen einen, agieren neben der Regel- oder Linienorganisation und können diesen keine Weisungen erteilen, weil die Regel- oder Linienorganisation dafür verantwortlich ist, ihre Aufgaben inhaltskonform zu erfüllen.

Am Beispiel eines „Qualitätsbeauftragten“ in einem Produktionsbetrieb wird dies deutlich.

Nicht der „Qualitätsbeauftragte“ ist dafür zuständig und verantwortlich, dass ein Produkt in einer bestimmten Qualität hergestellt und ausgeliefert wird, sondern die Stelle und die Mitarbeitern, die diese Produkt herstellt.

Der Qualitätsbeauftragte hat lediglich darauf hinzuwirken, dass alle Prozesse für die Herstellung eines Produkt wie vorgegeben eingehalten werden.

 

Dementsprechend verhält es sich bei den so genannten Behindertenbeauftragten in einer Kommune beispielsweise beim Thema Barrierefreiheit im ÖPNV.

Der Behindertenbeauftragte hat darauf hinzuwirken, dass alle Regeln z.B. für Barrierefreiheit eingehalten werden.

Planung, Durchführung und Überwachung von Maßnahmen zur Herstellung von Barrierefreiheit liegt in der Zuständigkeit und Verantwortung der entsprechenden Fachdienste und damit auch die Partizipation der Interessenvertretungen, wie wir später noch sehen werden.

 

Gerne wälzen Fachdienste der Verwaltung die Partizipation der Interessenvertretungen auf die Behindertenbeauftragten ab, benutzen diese als „Briefträger“ und „Vermittler“, u.a. um damit einem kritischen Diskurs mit – in eigener Sache – fachlich kompetenten Personen möglichst aus dem Weg zu gehen.

 

 

 

 

Im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland liegt die Schaffung gesetzlicher Rahmenbedingungen für eine partizipative Struktur in der Kommunen bei den Bundesländer.

Das bedeutet, dass es 16 – teils unterschiedliche – Rechtsrahmen gibt.

Allen gemein ist jedoch, dass sie nur die institutionalisierten Interessenvertretungen und Sachkundige Bürger und Einwohner umfassen.

Nicht-institutionalisierte Interessenvertretungen werden allenfalls als „Bevölkerungsgruppen“ erwähnt.

 

Sollte im weiteren Verlauf dieses Vortrages auf Rechtsrahmen eingegangen werden, wird der des Landes NRW zugrunde gelegt.

 

 

Man darf unterstellen, dass bei Betroffenen und deren Interessenvertretungen das notwendige Bewusstsein für eine inklusive Kultur vorhanden ist.

Bei manchen Politikern und in Teilen von kommunalen Verwaltungen ist dieses Bewusstsein eher unterentwickelt …

 

… oder tritt erst dann zu Tage, wenn Inklusion für das Erreichen eigener oder parteipolitischer Ziele opportun erscheint.

 

 

Die Intensität, mit der institutionalisierte Interessenvertretungen politische „proaktiv“ agieren können oder wollen, hängt von vielen Faktoren ab, besonders aber von den Abhängigkeiten und sich daraus ergebenden Zwängen ab.

Es existieren natürliche Spannungsfelder.

So können institutionalisierte Interessenvertretungen, wie beispielsweise Behindertenbeiräte in hohem Maße in eine Verwaltungsstruktur eingebunden worden sein, dass ein eigenständiges Agieren bei einem Thema, sich bei einem anderen Thema nachteilig auswirken.

Bei nicht-institutionalisierten Interessenvertretungen kann politisches Proaktiv-Sein gar zu finanziellen Nachteilen führen.

Manche solcher Interessenvertretungen stehen in einem leistungsvertraglichen Verhältnis zur Kommune, weil sie beispielsweise im Kern kommunale Beratungsleistungen substituieren und dies auch vergütet bekommen.

Über solche mehrjährige Verträge und deren Verlängerungen entscheiden in aller Regel Politiker auf Vorschlag der Verwaltung.

 

 

Nur wenigen Kommunalpolitikern und Mitarbeitern der Verwaltungen ist bewusst, dass politische Partizipation weit mehr ist, als die Bürgerschaft über einen Sachverhalt zu informieren und vielleicht mit ihnen darüber zu sprechen.

Denn die meisten wissenschaftlichen Abhandlungen, die sich mit Bürgerbeteiligung auseinandersetzen, befassen sich mit den Überlegungen der Politikwissenschaftlerin Sherry Arnstein, die acht Stufen der politischen Partizipation beschreibt und diese drei Phasen zuordnet und zwar

  • Von der „Nicht-Partizipation“
  • Über Vorstufen der Partizipation
  • Bis hin zu einer vollständigen Partizipation.

Die Übergänge zwischen diesen drei Bereichen ist fließend und muss auch fallbezogen gesehen werden.

Gleiches gilt für die Übergängen zwischen den einzelnen Partizipationsstufen.

 

 

Die Erfahrung zeigt, dass viele Protagonisten in Verwaltungen und Politik diese weltweit anerkannten Einordnungen gar nicht kennen und meinen, wenn mal eine Zielgruppe beispielsweise über ein Vorhaben informiert hat, das wäre schon „Partizipation“.

Dass solche Wissensdefizite auch bei Betroffenen und deren Interessenvertretungen existieren, steht außer Frage.

In beiden Akteursgruppen werden Begrifflichkeiten und Wortschöpfungen verwendet, die noch nicht einmal in die Nähe der Terminologie im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention kommen.

Ein Grund dafür liegt sicherlich auch in der fehlerhaften und teilweise sinnverfälschenden Übersetzung des Textes der UN-BRK in die deutsche Sprache.

 

 

Häufig festzustellen sind die unteren beiden Stufen der Partizipationstreppe.

Bei Stufe 1 soll die Zielgruppe lediglich (als „Alibi“) teilnehmen.

Ihr ist einen rein „dekorative“ Rolle zu gedacht, nach dem Motto: „Die waren doch dabei“ bis hin zur „manipulativen“ Botschaft an die Zielgruppe „Freut euch, dass Ihr dabei sein durftet“.

In der Stufe 2 wird der Zielgruppe die Kompetenz abgesprochen, überhaupt „mitreden“ zu können; sie wird zumindest wahrgenommen und „darf“ teilnehmen.

 

 

In Stufe 3 informiert der Entscheidungsträger die Zielgruppe und nimmt deren eventuelle. Stellungnahmen nur zur Kenntnis

Mit Stufe 4 würde die Kommunikation intensiviert und Vertretern der Zielgruppe die Teilnahme an Entscheidungsprozessen ermöglicht, ohne dass daraus jedoch ein verbindlicher Einfluss erwachsen würde.

 

In manchen Gesetzen wird der Bürgerschaft ein gewisses „Mitspracherecht“ eingeräumt und zwar als (institutionalisierte) „Anhörung“.

Die Anhörung einer Zielgruppe oder deren Vertreter in Partizipationsstufe 5 sorgt immer wieder zu Irritationen und Diskussionen, weil in diversen Gesetzen „Anhörungen“ zwar explizit vorgegeben werden, Konsequenzen, wie die Verbindlichkeit daraus, jedoch meist im Ungefähren bleiben.

Damit eröffnen diese Gesetze der kommunalen Verwaltung und der Kommunalpolitik breite Interpretationsspielräume, die vielfach zu vermeidbaren Diskussionen mit dem Vertretern der „Zielgruppen“ bis hin zu rechtlichen Auseinandersetzungen führen.

Negativ hervorzuheben ist das Personenbeförderungsgesetz (PBefG), das als Grundlage für die Entwicklung und Fortschreibung von Nahverkehrsplänen gilt.

 

 

Lediglich das Baugesetzbuch macht hierzu bei der Durchführung von Bauleitplanverfahren Angaben zur Umsetzung von Bürgerbeteiligungen, also von politischer Partizipation.

In Rahmen einer so genannten „Frühzeitigen Beteiligung“ können Behörden, Institutionen, wie IHK usw. und die Bürgerschaft erste Stellungnahmen abgeben.

Demnach auch Menschen mit Behinderungen und deren Interessenvertretungen.

Nach Überarbeitung der Planungen und Beteiligung kommunaler Gremien folgt eine weitere Partizipationsmöglichkeit.

Bemerkenswert und für andere Anhörungsanlässe beispielhaft ist dabei, dass – zumindest in Mönchengladbach – Stellungnahmen von Zielgruppen wörtlich zitiert und dazu verwaltungsseitig der Politik Abwägungsvorschläge unterbreitet werden.

Meist werden solche Abwägungsvorschläge in den Gremien nur zur Kenntnis genommen, selten jedoch diskutiert.

 

 

Das gilt auch für das – nur in Mönchengladbach existierende – Institut der so genannten Anhörungskommission für besondere Fälle der Bauleitplanung nach dem Baugesetzbuch.

Diese Kommission besteht aus je einem Mitglied der im Planungs- und Bauausschuss vertretenen Fraktionen.

In einer nicht-öffentlicher Sitzung dieses Gremiums können von einer Planung betroffene Personen ihre schriftlich eingereichten Einwände oder Anregungen noch einmal mündlich erläutern.

Die Kommissionsmitglieder treffen danach keine Entscheidungen, sondern nehmen die Äußerungen auf und tragen sie vor einer Entscheidung im Ausschuss in ihre Fraktionen.

Obwohl die „Anhörungskommission“ von Mönchengladbacher Kommunalpolitikern häufig zur Disposition gestellt wurde, fand sich bislang keine Mehrheit für die Abschaffung des seit nunmehr 58 Jahren existierenden, beispielhaften Institut der politischen Partizipation.

 

 

Zurück zur Partizipationstreppe

Auch wenn bei den Partizipationsstufen 6 bis 8 von Mitbestimmung und Entscheidung die Rede ist, muss schon jetzt klar gestellt werden, dass politische Entscheidungen in einer Kommune ausschließlich durch Kommunalpolitiker also durch Wahlen demokratisch legitimierte Vertreter der Bürgerschaft – in besonderen Fällen auch durch Dezernate der Verwaltung – getroffen werden.

Insofern wird an dieser Stelle darauf nicht vertiefend eingegangen.

Das ändert nichts an den Rechten aus der politischen Partizipation, bei der man sich seitens der Interessenvertretungen realistischerweise ausschließlich auf die relevanten Stufen 1 bis 5 konzentrieren sollte.

 

 

 

Wir haben gelernt, wie Interessenvertretungen unter welchen Randbedingungen mit der Möglichkeit umgehen können, politische Partizipation zu praktizieren, nämlich

  • aktiv, indem sie selbst entscheiden welche Themen sie bearbeiten möchten, oder
  • reaktiv, indem sie sich mit (nur) Themen befassen, die in Form von Anfragen aus Verwaltung und Politik auf sie zukommen.

Welche politischen Aktivitäten aber entwickeln Akteure der Kommune hinsichtlich der politischen Partizipation generell und wie gehen sie im Speziellen mit den Rechten von Menschen mit Beeinträchtigungen um?

Da agieren die Wuppertaler anders als die Bonner oder die Aachener, um in NRW zu bleiben, und Mönchengladbacher wieder anders.

In Mönchengladbach nährte der damalige SPD-Oberbürgermeister im März 2014 die Hoffnung auf einen nachhaltigen TOP-DOWN-Inklusionsprozess, indem er für den Verwaltungsvorstand eine Art Selbstverpflichtung veröffentlichte.

 

 

Solche grundsätzlichen Erklärungen enden in der Regeln nicht mit der Amtszeit des Oberbürgermeisters, sondern behalten ihre Gültigkeit auch für die nachfolgenden Oberbürgermeister und Beigeordneten solange bis sie widerrufen oder modifiziert werden.

Daran sollten sich die Interessenvertretungen orientieren können, zumal auch dann, wenn es formalrechtliche Festlegungen in der kommunalen Verfasstheit über die Hauptsatzung gibt.

 

 

Schon im Jahr 1994 nahm der Mönchengladbacher Stadtrat sich der Belange von Menschen mit Beeinträchtigungen derart an, dass er einen Paragraphen mit dem Titel „Wahrung der Belange von Menschen mit Behinderung“ in die Hauptsatzung aufnahm.

An diesen – naturgemäß sehr allgemein gehaltenen – Regeln haben sich alle Akteursgruppen in Mönchengladbach zu orientieren.

In Mönchengladbach gibt es keine „institutionalisierte“ Interessenvertretung von Menschen mit Beeinträchtigungen, wie beispielsweise einen Behindertenbeirat, wohl jedoch nicht-institutionalisierte, eigenständige Interessenvertretungen in Form von örtlichen Gliederungen bundesweit operierender Verbände.

 

 

Die Hauptsatzung steckt den Rahmen ab, in dem der Behindertenbeauftragte (seit 2011 „Inklusionsbeauftragte“) auf Seiten der Verwaltung zu agieren hat … und zwar „in die Verwaltung hinein“ und „nach außen“.

Fakt ist: Beauftragte sind Mitarbeiter der Verwaltung und damit weisungsgebunden und haben sich dementsprechend zu verhalten.

Insofern sollte ihnen mit gebotener Distanz, entgegen getreten werden, wenn es um Partizipation geht.

Dies schließt in konkreten Projekten eine sachbezogene, enge Zusammenarbeit nicht aus.

 

 

Der „reinen“ Lesart der Hauptsatzung folgend würden Kommunikation und Interaktion ausschließlich zwischen den Interessenvertretungen von Menschen mit Beeinträchtigungen und der Stabstelle Inklusion stattfinden, was dem Grundanliegen der UN-BRK nach politischer Partizipation wiedersprechen würde.

 

 

Aus diesem Grund finden seitens der Vertretungen der Menschen mit Beeinträchtigungen Kommunikation und Interaktion vermehrt in vielerlei Richtungen statt.

Dies sehr zum Leidwesen mancher Stellen in Fachverwaltungen, die scheinbar befürchten, die (für die angenehme) „Briefkasten-,  Filter- und Bündelungsfunktion“ der Stabstelle Inklusion zu verlieren und sich unmittelbar und ausschließlich mit Betroffenen und deren Verbänden auseinandersetzen zu müssen.

Einige wenige Stellen der Fachverwaltung haben jedoch erkannt, dass die unmittelbare Kommunikation und Interaktion mit Betroffenen und deren Verbänden für ihre Verwaltungsarbeit große Vorteile bieten, weil diese – eben aus der Sicht der unmittelbar Betroffenen – wesentlich authentischer Beiträge liefern können als eine „zwischengeschaltete“ Verwaltungsinstitution.

 

 

„Politische Partizipation“ findet in Mönchengladbach eher zufällig statt und kann unter prozessorganisatorischen Gesichtspunkten durchaus mit „chaotisch“ umschrieben werden.

Dabei wird „die Politik“ seitens der Verwaltung bislang weitgehend „außen vor“ gehalten und Kontakte von Behindertenvertretern zu Politikern durchaus kritisch beäugt.

 

 

Um Politische Partizipation nachhaltig, also dauerhaft, praktizieren zu können, bedarf es einiger Regularien, die von allen an dem Partizipationsprozess Beteiligten anerkannt werden.

Auch wenn wir hier in erster Linie mit dem Beispiel Mönchengladbach befassen, kann der sich aus den Erkenntnissen ergebende Handlungsbedarf ohne weiteres auf andere Kommunen übertragen werden, weil deren Aufbau- und Ablauforganisationen vom Grundprinzp her vielfach ähnlich oder gar gleich sind:

 

 

Wenn man den Handlungsbedarf für eine funktionierende politische Partizipation beschreiben will, geht es insbesondere um diese Fragen:

  • Strukturierter Prozessablauf
  • Klare Zuordnung für die Prozessführung
  • Unabhängige Stellungnahme der Prozessbeteiligten und
  • Transparente und für die Öffentlichkeit zugängliche Dokumentation

Zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass dieser Prozess noch nicht durchgängige Praxis in Mönchengladbach ist, bei der Verwaltung noch nicht auf Gegenliebe stößt, von uns als BSK in Mönchengladbach jedoch konsequent verfolgt wird.

Dazu später mehr bei den Praxisbeispielen.

 

 

Anlässe für eine politische Partizipation sind meist Vorhaben oder Maßnahmen, die eine Verwaltung auf Grund von Aufträgen aus politischen Gremien oder im Rahmen von „Verwaltungshandeln“ durchzuführen hat.

Die meisten solcher Vorhaben beginnen mit Planungen und sollen – nach Beratung in politischen Gremien – mit politischen Beschlüssen enden, die dann umzusetzen sind.

Was sehr häufig vorkommt ist, dass Maßnahmen über Fördermittel teilfinanziert werden und an solche Förderungen Bedingungen geknüpft sind, die die Belange von Menschen mit Beeinträchtigungen betreffen, wie z.B. die Barrierefreiheit.

In diesen Fällen sind die „institutionalisierten“ Interessenvertretungen aufgefordert, ein Testat abzugeben, mit dem die geplanten Barrierefreiheit bestätigt werden soll.

 

 

Die Kompetenz (im Sinne von Zuständigkeit, Entscheidung und Verantwortung) bei der Steuerung solcher Prozesse kann nur beim zuständigen Fachbereich liegen.

Ihm obliegen Federführung und „Taktgebung“.

Nicht „außen vor“ dürfen dabei die in vielen Kommunen anzutreffenden Beteiligungsunternehmen.

Solche Beteiligungsunternehmen dürfen gemäß Gemeindeordnung NRW nur gegründet, wenn ihnen Aufgaben übertragen werden, die im Kern kommunale Aufgaben sind, die also nur organisatorisch ausgegliedert sind.

Auch darauf wird bei den Praxisbeispielen noch eingegangen werden.

 

 

 

Die Kompetenz für die Steuerung solcher Prozesse das Sicherstellen der notwendige Partizipation von Menschen mit Behinderungen, deren Interessenvertretungen und anderen potenziell Beteiligten.

Dazu gilt es,

  • Partizipationsstufen festzulegen und zu kommunizierten
  • zu entsprechenden Veranstaltungen einzuladen,
  • diese durchzuführen und zu leiten und
  • die Ergebnisse zu protokollieren.

 

 

Wichtigstes Elemente einer „Strukturierten Partizipation“ sind die Protokolle zu „Partizipationstreffen“.

Solche Protokolle sind den Teilnehmern vom „Taktgeber“ Fachbereich zum nachträglichen Abgleich zur Verfügung zu stellen.

So können die „institutionelle“ Interessenvertretungen (hier: die Stabsstelle Inklusion) und die übrigen Teilnehmer unabhängig voneinander oder gemeinsam Stellungnahmen abgeben, die anschließend zum integralen Bestandteil der Beratungs- oder Beschlussvorlagen werden.

Sollte sich im Prozessverlauf die Notwendigkeit ergeben, dass Interessenvertretungen mit Fraktionen oder Parteien in Kontakt treten, steht ihnen dieser Weg zusätzlich offen.

Denn: Es steht allen Bürgern und damit auch Menschen mit Behinderungen und deren Interessenvertretungen frei, sich jederzeit mit ihren „Anliegen“ an einzelne Politiker, an Parteien und/oder Fraktionen zu wenden.

Auch das zählt zur „Politische Partizipation“.

Nur so haben die Kommunalpolitiker, die über eine Maßnahme entscheiden sollen, die Chance, sich ein umfassendes Bild zu machen und nachvollziehen, in welchem Maße politische Partizipation stattgefunden hat.

 

 

Abschließend noch etwas zur Dokumentation einer Maßnahme.

Hier hilft eine „Anleihe“ aus dem Baugesetzbuch und der Abwicklung von Bauleitplanverfahren.

Die Fachverwaltung ist – schon zur Vermeidung von Rechtsfehlern – gehalten, alle Eingaben von Bürgern zu Planungen präzise, vollständig und gerichtsfest zu dokumentieren und gleichzeitig den politischen Entscheidern so genannte „Abwägungsvorschläge“ zu unterbreiten.

Die Übernahme der gleiche Vorgehensweise sollte in Fällen“ mit politischer Partizipation im Sinne der UN-BRK kein Problem darstellen.

Dann würde die Fachverwaltung der Politik abgestufte „Abwägungsvorschläge“ unterbreiten und diese dann – für jeden nachlesbar – ausführlich begründen.

 

 

In welchem Umfang die Politiker diese Abwägungsvorschläge lesen, verstehen und ggf. hinterfragen, liegt ausschließlich in deren eigener Verantwortung.

Vielfach fasst ein Fachverwaltung ihre Abwägungsvorschläge in kurzen Beschlussempfehlungen zusammen, wie

  • Der Stellungnahme wird gefolgt
  • Der Stellungnahme wird nicht gefolgt
  • Der Stellungnahme wird teilweise gefolgt
  • Die Stellungnahme wird zur Kenntnis genommen

Dabei sollten die Politiker nicht außer Acht lassen, dass ihre Handlungsweisen und Entscheidungen nicht per se ohne Haftungsrelevanz sind, weil sie nur ehrenamtlich tätig oder weil sie innerhalb einer Fraktion oder Kooperation Beschlüsse mitgefasst haben.

 

 

Dazu am Ende dieses Vortrages ein kurzer Exkurs in die „Haftungsthematik“

In NRW ist Haftungsgrundlage § 43 Abs. 4 NRWGO.

Danach haften Ratmitglieder, wenn sie vorsätzlich oder grob fahrlässig ihrer Pflicht gegenüber der Gemeinde nicht nachkommen und damit gegenüber den Bürgern schädigend handeln.

Grob fahrlässig handelt, wer einen Schaden durch einfache und naheliegende Verhaltensweisen hätte verhindern können und diese außer Acht gelassen hat.

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH gelten für Mitglieder kommunaler Vertretungskörperschaften keine „mildernden“ Sorgfaltsmaßstäbe.

Entscheidend ist damit, was von einem „Durchschnittsgemeindevertreter“ erwartet werden kann, es also irrelevant ist, ob dieser von Beruf Fahrradhändler, Lehrer, Bauplaner oder Anwalt ist.

Fehlt ihm zu einem Sachverhalt die notwendige Sachkenntnis, muss er sich notfalls Rat und/oder Empfehlungen Dritter einholen.

Es hängt also nicht von persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten ab.

Ein bloßes „hab‘ ich nicht gewusst, ich bin doch nur …“ reicht nicht aus, um grobe Fahrlässigkeit zu verneinen.

Es reicht aber auch nicht aus, was der ehem. OB-Kandidat und jetziger Oberbürgermester in einer öffentlichen Ratssitzung erklärte: „… wenn ich eine Vorlage bekomme, die heißt ‚Sie können dem zustimmen‘, gehe ich davon aus, dass ich das tun kann“ (Zitat Ende).

 

 

Damit schließe ich diesen Vortrag