Das schien nicht in unsere Zeit zu passen.
Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten beklagt, immer mehr Menschen seien auf einen Zweitjob angewiesen.
Indirekt also der Hinweis: Sie müssten mehr tun, Mehrarbeit leisten, um über die Runden zu kommen.
Andere warnten dagegen, wer zu viel Zeit in Beruf und Arbeit investiere, würde unglücklich.
Jetzt verkündet die staatliche „Agentur für Arbeit“: Besser zeitweise Kurzarbeit als dauerhaft arbeitslos.
Die gegenwärtige Krise zwingt uns neue Maßstäbe auf.
Wenn ein Virus weltweit die Auto-Industrie lahmlegt, wenn Zulieferer ihre Produktion einstellen, wenn Branchen mit Gewinn-Einbrüchen rechnen, zwingt uns das kürzer zu treten, ob uns das passt oder nicht.
Bisher hielten wir es mehr oder weniger für undenkbar, in unserer Wohlstandsgesellschaft „kürzer zu treten“.
Wenn es um Erfolg, um Anerkennung in Beruf und Freizeit, um gesichertes Einkommen und Konsum geht, damit uns die Annehmlichkeiten des Lebens zur Verfügung stehen, können wir uns ein „Weniger“ angeblich nicht leisten.
Die Zielfrage lautet: „Wo geht es hier nach oben?“
Aufstiegsmöglichkeiten dürfen wir nicht verpassen.
Wir sind ins Gelingen verliebt und schwimmen im Meer des Begehrens.
Alles muss groß und größer werden.
Aus dem ehemals kleinen Blumenladen wurde ein weit verzweigter Gartenbaubetrieb.
Viele sahen und sehen darin den Schlüssel zum Glück; Begleiterscheinungen wie Hektik, Stress, wenig Freizeit inklusive.
Dass wir einen wichtigen Teil unseres Lebens damit verschwenden, verdrängen wir.
Die sich abzeichnende Krise zwingt zum Umdenken.
Wenn im Nicht-Ferien-Monat März dreißigtausend deutsche Urlauber in Ägypten und weitere Hunderttausend sonst wo in der Welt festsitzen, weil Reiseveranstalter sie nicht heimholen können, macht das sprachlos.
Es ist wohltuend, dass es uns gut geht.
Die meisten haben es sich rechtschaffen verdient.
Glück können wir aber auch herausfordern.
Plötzlich stellen wir fest, dass unser Wohlergehen vom Verhalten anderer abhängt.
Wir sind nicht nur des eigenen Glückes Schmied.
Aus Ägypten oder von den Malediven kommt niemand zu Fuß nach Haus.
Es ist nicht risikolos, außerhalb des Üblichen einen Gang zurückzuschalten, Ansprüche zurückzustellen, den Gürtel enger zu schnallen, eine geringer bezahlte und weniger verantwortungsvolle Position zu akzeptieren, den gewohnten Lebensstandard zu reduzieren.
Verzicht-Prediger sind dabei keine guten Ratgeber.
Die Zeichen einer Zeit, in der kein Stein auf dem anderen zu bleiben scheint und nach dem Klima-Wahn der Hygiene-Wahn ins Kraut schießt, fordern zu „neuem Denken“ heraus.
Vielleicht stellt der Eine oder Andere fest, dass „weniger“ Annehmlichkeit für ihn „mehr“ sein kann und trotz mancher Einschränkungen zufrieden macht.
Wenn es gelingt, die Realität des Alltäglichen zu akzeptieren und das Augenmerk zumindest vorübergehend „mehr“ auf Familie, Partner oder Freunde zu setzen und mehr Zeit zu haben wofür auch immer, kann „kürzer treten“ seine guten Seiten haben.
„Schlechte“ Nachrichten werden dann möglicherweise „gute“ Nachrichten.
Jeder könnte auf seine Weise, nach seinen Möglichkeiten auf Spurensuche gehen.
Unser Leben ist kein perfekt abgestimmtes Uhrwerk.
Kürzer zu treten gelingt in kleinen Schritten.
Aber auch so lassen sich lebenswerte Ziele erreichen.