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Rainer Werner Fassbinders Film aus dem Jahr 1974 zielte auf eine andere Thematik, die Angst vor dem Fremden.

Im Kern betrifft er aber auch jene Angst, die uns momentan zu schaffen macht.

Auch sie nagt an den Seelen der Menschen und schnürt ihnen, bildlich gesehen, die Kehle zu.

Es ist die Angst vor etwas bisher Unbekanntem.

Sie beschleicht uns wie ein unheimliches Gefühl, dem wir uns machtlos ausgesetzt fühlen.

Die Bundeskanzlerin spricht von einem „Gegner, den man nicht kennt.“

Der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, beschreibt diese Angst mit den eindringlichen Worten: „Es geht um Leben und Tod.“

Nichts ist wie vorher. Ausnahmezustand.

Sehnsucht nach dem Normalen regt sich.

Das kann dauern. Wie lange? Niemand weiß es.

„Jeder muss ein Stück Freiheit aufgeben“, sagt Alisa Speckhardt.

Sie lebt in China, von wo sich das Coronavirus ausbreitete.

Ist es vor allem der Verlust an inneren und äußeren Freiheiten, was Angst macht?

Nicht mehr allein entscheiden dürfen, mit wem wir Kontakte pflegen und wohin wir reisen möchten.

Haben andere das Recht, Freiheiten zu beschneiden, die uns, wie wir meinen, zustehen und die wir bisher in Anspruch genommen haben?

Politiker, Ärzte, Virologen sagen „Ja“ und appellieren an unsere Einsichtsfähigkeit.

Wir seien für uns und für andere verantwortlich.

Gewusst haben wir das immer, aber in seiner Tragweite nicht immer wahrgenommen.

Fragen muss sich jeder, ob er die Rechte auf eine eigenverantwortliche Lebensgestaltung für zu selbstverständlich hält „Was du liebst, lass frei.

Kommt es zurück, dann gehört es dir für immer.“

Diese Volksweisheit fordert uns auf, darüber nachdenken, ob alle Freiheiten, derer wir uns bedienen, selbstverständlich und immer lebensnotwendig sind.

„Wir haben uns zu sehr daran gewöhnt, dass unser Wohlstand und unser Einkommen selbstverständlich sind.“

Der ehemalige Daimler-Chef Edzard Reuter sagte das aus eigener Erfahrung.

„Etwas für selbstverständlich zu halten, ist der beste Weg es zu verlieren.“

Auch das ist eine Volksweisheit.

Manchmal entgeht uns, wie gut und wichtig das ist, was wir nutzen oder genießen.

Den wahren Wert lernen wir oft erst schätzen, wenn es uns plötzlich nicht zur Verfügung steht.

Vielleicht entdecken wir in diesen Tagen, die zu Wochen oder Monaten werden könnten, dass Angst auch ihr Gutes hat.

Angst kann uns davor bewahren, unverantwortliche Risiken einzugehen.

Angst kann Leben retten.

Angst kann uns mobilisieren und zu Leistungen anspornen, die wir uns nicht zugetraut haben.

Das Virus lähmt. Es macht viele Menschen starr vor Angst.

Es macht aber auch bewusst, dass wir eine Seele haben, mit der wir fühlen, was mit uns und um uns herum geschieht. Wir sind kein gefühlloses Etwas.

An unserer Seele nagen gegenwärtig viele Ängste und wollen sie vereinnahmen. Das müssen wir nicht zulassen, signalisiert unsere Seele.

In den Medien ging ein Bild um die Welt, das Italiener singend und musizierend auf ihren Balkonen zeigte.

Die Menschen folgten dem Aufruf, ein Musikinstrument hervorzuholen oder gegen die Einsamkeit anzusingen, damit das Land „für ein paar Minuten ein einziges großes Konzert ist“.

Wo auch uns das gelingt, wo wir uns stemmen gegen scheinbare Hoffnungslosigkeit, werden keine Ängste unsere Seele auffressen.